Wenn Ihr das Buch Triphasic Training: A Systematic Approach to Elite Speed and Explosive Strength gelesen habt, wisst Ihr, dass ich ein großer Freund des Kontrasttrainings im Allgemeinen und der französischen Kontrastmethode im Besonderen bin. Der französische Kontrast ist ein etwas aufgeblasener Name für eine Kombination aus Komplex- und Kontrastmethoden. Ein „Komplex“ ist hierbei eine anstrengende Verbundübung, auf die eine plyometrische Übung folgt, die dasselbe Muster erneut aufgreift. Eine „Kontrastmethode“ hingegen besteht aus einem anstrengenden Satz, gefolgt von einem Drop Set. Dies ist ein hervorragender Ansatz zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit in allen Sportarten, in denen es auf eine hohe Kraftproduktion ankommt. Sobald ein gewisses Maß an Erschöpfung eintritt, lässt die Qualität der Wiederholungen aber auf jeden Fall nach, und das ist nicht optimal, schon gar nicht, wenn man einen Athleten zu Spitzenleistungen führen will.
Hochgeschwindigkeits-Potenzierungscluster als Alternative
Zur Erhöhung der Anzahl an technisch sauberen Wiederholungen bietet sich aber noch ein alternativer Ansatz an, der einige Ähnlichkeiten mit dem französischen Kontrast aufweist: Hochgeschwindigkeits-Potenzierungscluster. Diese bestehen in der Regel aus einer einzigen Wiederholung, die maximal schnell und mit einem Gewicht von unter 80 Prozent von 1 RM ausgeführt wird, unmittelbar gefolgt von einer plyometrischen Übung ohne Zusatzgewicht, die man mit maximaler Anstrengung absolviert, und die ebenfalls dasselbe Bewegungsmuster aufgreift wie die vorausgegangene Gewichtsübung. Nach 20 Sekunden Pause wiederholt man dieses Übungspaar, bis man auf insgesamt sechs bis acht Wiederholungen kommt. Es handelt sich also um Sätze aus zwei Übungen mit je einer Pause dazwischen, aber ich werde später auch noch Variationen für fortgeschrittene Athleten aufzeigen, bei denen mehr Übungen ausgeführt werden.
Plyometrische Übung ist der entscheidende Punkt
Sehen wir uns das einmal genauer an, um das Prinzip zu verinnerlichen. Da wäre zunächst die Auswahl der Übungen. Die erste Übung dient der Vorbereitung oder Potenzierung, um das Nervensystem auf eine maximale Anstrengung einzustimmen. Die zugrundeliegende Idee dieser Theorie ist, dass sich das Nervensystem besonders gut stimulieren lässt und die Rekrutierung der motorischen Einheiten zunimmt, wenn man vor einer explosiven Aktivität zunächst eine Bewegung mit Zusatzgewicht ausführt. Für diese erste Übung stehen einige Alternativen zur Auswahl… beispielsweise Power Clean, Snatch, Front/Back/Sport Back Squat, Deadlift oder sogar ein Squat Jump mit Zusatzgewicht.
Der entscheidende Punkt ist aber: Es ist die zweite Übung, also die plyometrische Übung, die es bei maximaler Anstrengung und Geschwindigkeit möglichst sauber auszuführen gilt. Bei dieser Übung könntet Ihr Euren Sportler zum Beispiel dazu veranlassen, über eine Hürde zu springen oder auf eine Box (um den Aufprall zu verringern). Wie Ihr in den nachfolgenden Beispielen sehen werdet, haben alle diese Ansätze ihren Sinn. Aber die Kernfrage ist: Findet jeder Sprung mit maximalem Kraftaufwand statt? Um dies zu gewährleisten, empfehle ich die Verwendung einer Sprungmatte oder eines Vertec. Ihr könnt auch eine Tendo-Einheit benutzen, um die Geschwindigkeit des Sprungs im Verhältnis zur Höhe zu messen.
Im Rahmen des plyometrischen Übungsteils kann der Athlet theoretisch auch aus dem Stand in eine tiefere Position springen. Das würde zwar ebenfalls als Sprung- oder Beschleunigungstraining gelten, was völlig in Ordnung ist, sofern selbiges im Fokus steht. Aber es ist nicht wirklich ein plyometrisches Training.
Wenn es Ihnen darum geht, das plyometrische Training für die Stabilisierung von Gelenken einzusetzen, scheinen mir die höheren Squat-Positionen am sinnvollsten zu sein, und dann wäre meine Wahl der Drop Box Jump. Dabei springt der Athlet von einem 30 bis 45 cm hohen Kasten in eine athletische Grundstellung und kehrt dann mit einem möglichst kraftvollen Sprung in die Startposition zurück. Nutzt die Abwärtsbewegung und springt sofort explosiv wieder hoch. Die Beispiele in Teil 2 stellen einige Varianten vor, die Ihr je nach Schwerpunktsetzung anwenden könnt.
Stimulationsübung mit 80% von 1 RM beginnen
Sprechen wir nun über das verwendete Gewicht. Der Drop Box Jump wird augenscheinlich ohne Zusatzgewicht ausgeführt, um die meisten Wettkampfsituationen zu simulieren. Das Gewicht bei der ersten, der vorausgehenden Übung ist jedoch wichtig. Manche Coaches gestalten ihre Potenzierungsübung mit recht schweren Gewichten, allerdings rate ich davon ab. Ich würde die Last bei der ersten Übung in den ersten zwei bis drei Wochen unter 80 Prozent von 1 RM halten und sie in den folgenden zwei bis drei Wochen auf unter 55 Prozent fallen lassen. In den Wochen vor dem Wettkampf würde ich sie schließlich auf 25-30 Prozent senken.
Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen schwere Gewichte. Außerhalb der Wettkampfsaison ist es absolut angebracht und auch notwendig, mehrere Wochen lang mit schweren Gewichten zu trainieren. Aber ich bin der Ansicht, dass die meisten Kraft-Coaches ihre Athleten zu lange zu schwere Gewichte stemmen lassen. Wenn Ihr mein Buch gelesen habt, dann wisst Ihr, dass ich ein großer Befürworter leichterer Gewichte bin, die viel eher die tatsächliche Wettkampfsituation widerspiegeln, so dass man sich in der Trainingsendphase mehr auf Geschwindigkeit und Reaktivität konzentrieren kann.
Wieviel Wiederholungen und Sätze sind sinnvoll?
Ein drittes Problem ist die Anzahl der Wiederholungen und Sätze. Bei einem solchen Potenzierungsansatz sollte ein Satz mit sechs bis acht Wiederholungen durchaus machbar sein. Gut trainierte Athleten könnten nach 3 Minuten aktiver Erholung einen weiteren Satz mit sechs bis acht Wiederholungen abwickeln. Wenn bei mir ein größerer Wettkampf anstünde, würde ich allerdings nur einen Satz machen. Während der Sommermonate, sofern Erschöpfung kein Problem darstellt und die Athleten gut trainiert sind, wären eventuell auch 3-4 Sätze angemessen.
Letztlich muss es jedoch darum gehen, die Anzahl an hochwertigen (!) Wiederholungen zu erhöhen. Damit die Qualität gleich hoch bleibt, könnte man ein Vertec oder eine Tendo-Einheit benutzen und das Training unterbrechen, sobald die Sprungkraft um 5 Prozent abnimmt. Je nach Athlet könnte das bedeuten, dass nach zwei ganzen Sätzen schon Schluss ist, eventuell auch nach mehr.
Hochgeschwindigkeits-Potenzierungscluster als Peaking-Methode auffassen
Abschließend möchte ich noch einige Anmerkungen dazu machen, wann man diesen Ansatz anwenden sollte. Und zwar würde ich ihn erst benutzen, nachdem ich einen kompletten sechs- bis neunwöchigen 3-Phasen-Zyklus abgeschlossen habe, das heißt eine zwei- bis dreiwöchige exzentrische Phase, danach eine zwei- bis dreiwöchige isometrische Phase und schließlich eine zwei- bis dreiwöchige konzentrische Phase, die alle bei mindestens 80 Prozent von 1 RM ausgeführt werden. Dieser Ansatz der Hochgeschwindigkeits-Potenzierungscluster sollte am besten als Peaking-Methode aufgefasst werden, deshalb sollte ihm ein solides Krafttraining zugrunde liegen.
Generell könnte man annehmen, dass ein solches Programm fortgeschrittenen Athleten vorbehalten bleiben sollte, die bereits einige Trainingserfahrung haben. Doch nicht nur fortgeschrittene Athleten profitieren von hochwertigen Bewegungen. Ein entsprechendes Workout könnte sicher auch auf Anfängerniveau ausgeführt werden, und zwar immer dann, wenn der Coach üblicherweise anfangen würde, plyometrische Übungsformen in das Trainingsprogramm zu integrieren.
Vor allem von High-School-Coaches erhalte ich immer wieder positives Feedback zum Ansatz der Hochgeschwindigkeits-Potenzierungscluster. Sie waren „überrascht“ und „erstaunt“ darüber, dass ihre Athleten so große Fortschritte erzielten und dabei nicht einmal den Eindruck machten, sie würden sich besonders verausgaben. Der Schlüssel hier ist die höhere Qualität … ja, es sind tatsächlich weniger Wiederholungen mit einem niedrigeren Gewicht, aber ausschlaggebend für die erzielte Leistungssteigerung ist die maximale Anstrengung bei jeder Wiederholung.
Im zweiten Teil möchte ich einige konkrete Beispiele vorstellen, um Euch einen Eindruck davon zu vermitteln, wie und wann man diesen Ansatz am besten anwendet.
Eure Carl Dietz und Dennis Adsit