Erfahre mehr über das Programm und die Philosophie von Michael Boyle beim CFSC
Ist die Prävention eines Kreuzbandrisses nur gutes Training? Ich denke schon. Wir verordnen allen unseren Klienten ein und dasselbe Programm – ob sie nun Probleme mit ihren Kreuzbändern haben oder nicht! Eigentlich handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen. Ein Programm als Präventionsmaßnahme zu verpacken ist vielleicht nichts anderes als ein kleiner Trick, um den Athletiktrainer, Physiotherapeuten oder Coach für diese Idee empfänglich zu machen. Der Zweck heiligt die Mittel. Als Coaches müssen wir erkennen, dass wir auf alle unsere Leistungs- und Breitensportler die besten Präventionskonzepte anwenden sollten.
Weil die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung bei Athletinnen höher ist als bei Athleten, sind ihre Trainer in der Regel stärker an einem Konzept zur Vorbeugung von Kreuzbandrissen interessiert. Es ereignen sich jährlich schätzungsweise 100.000 Kreuzbandrisse, und 30.000 davon betreffen Jugendliche. Coaches sollten diese Konzepte zur Verletzungsreduktion auf jeden Fall auch auf männliche Athleten anwenden. Andererseits könnte das Etikett „Kreuzbandriss-Prävention“ gerade der Anreiz sein, der den Basketball-Coach des Mädchenteams dazu veranlasst, sich auf das Programm einzulassen.
Reduktion oder Prävention
Obwohl man mir Haarspalterei vorwerfen könnte, vertrete ich die Auffassung, dass wir bei Verletzungen nicht über Prävention, sondern vielmehr über Reduktion sprechen sollten. So sehr wir uns als Athletik-, Sport- oder Fitnesstrainer auch bemühen, wir können Verletzungen nicht verhindern, sondern höchstens versuchen, ihr Auftreten zu verringern. Das Wort Prävention suggeriert, dass wir dafür sorgen könnten, dass sich keine Verletzungsvorfälle mehr ereignen – was zwar schön wäre, aber leider unrealistisch ist.
Die Athletin
Wenn wir Athletinnen trainieren, müssen wir anfangen, aktiv zu werden. Es bringt nichts, wenn wir jammern oder uns mit „Frauenthemen“ wie dem Menstruationszyklus befassen. Wir können das Geschlecht unserer Sportler nicht ändern, wohl aber die Kraft und Stabilität ihres Unterkörpers. Wir können zur Kenntnis nehmen, dass bestimmte Faktoren (Q-Winkel, Fossa intercondylaris, Menstruationsstatus usw.) eine Rolle spielen, sich letztlich aber nicht verändern lassen.
Der schmale Grat
Es gibt Forschungsarbeiten, die sich mit dem Einfluss des Menstruationszyklus auf die Wahrscheinlichkeit eines Kreuzbandrisses befassen. Ich frage mich allerdings, inwiefern uns dieses Wissen nützlich ist. Werden Eltern ihren halbwüchsigen Töchtern nun verbieten, am Finalspiel teilzunehmen, weil es auf einen hormonell ungünstigen Zeitpunkt fällt?
Reduktionsstrategien
Es ist einfach, das Risiko eines Kreuzbandrisses zu mindern, aber man muss systematisch vorgehen. Wir müssen an allen nachfolgend aufgelisteten Punkten arbeiten. Das ist keine Speisekarte, aus dem man sich seine Mahlzeit zusammenstellt, sondern eher ein Rezept, an das man sich halten muss. Haben Sie schon einmal versucht, einen Kuchen ohne die wichtigste Zutat zu backen? Normalerweise ergibt das eine kulinarische Katastrophe.
- Aktives Warm-up
- Schnellkraft und Stabilität / exzentrische Kraft = Landefertigkeit
- Kraftentwicklung (Betonung auf einem Bein)
- Konzepte für Richtungswechsel – Abstoppen lernen
- Konditionstraining für Richtungswechsel – Entwicklung der Kondition
Functional Training
Dies könnte der entscheidende Faktor für die Prävention von Kreuzbandverletzungen sein. Obwohl die Begriffe „Funktion“ und „Functional Training“ fast schon zerredet worden sind, besitzt das Konzept nach wie vor Gültigkeit. Man sollte Functional Training als praktische Anwendung der funktionellen Anatomie betrachten. Um diese zu verstehen, muss man erkennen, dass sich alles ändert, sobald man sich auf ein Bein stellt. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.
Reduktionsstrategie 1 – Aktives Warm-Up
Ein gutes Warm-up ist der erste Schritt in einem Programm zur Reduktion von Kreuzbandrissen. Andererseits ist ein gutes Warm-up der erste Schritt in jedem Programm. Mit einem geeigneten Warm-up entwickelt man nicht nur die Kraft bei einbeinig ausgeführten Bewegungen, sondern verbessert auch seine dynamische Beweglichkeit und Propriozeption. Für ein aktives Warm-up wählt man idealerweise Übungen aus, die den Agonisten aktivieren und gleichzeitig den Antagonisten verlängern.
- High Knee Walk (Gehen mit Kniehub)
- Leg Cradle
- Walking Heel to Butt (Ferse ans Gesäß ziehen)
- Back Lunge (Ausfallschritt rückwärts)
- Spiderman
- Inchworm (Handlauf)
Reduktionsstrategie 2 – Entwicklung der Stabilität/exzentrischen Kraft
Wenn ein aktives Warm-up der erste Schritt ist, ist die Entwicklung der Stabilität und exzentrischen Kraft der wichtigste Schritt. In vielen beliebten Präventionsprogrammen ist dies das größte Manko. Die meisten Programme konzentrieren sich zu stark auf das beidbeinige Springen und weniger auf das einbeinige Hüpfen. Auch hier könnte man mir wieder Haarspalterei vorwerfen, aber es ist etwas ganz anderes, ob man mit einem oder beiden Beinen springt. Wie gesagt: alles ändert sich, sobald man auf einem Bein steht – und vor allem LANDET. Der beste Schutz vor einer Verletzung ist die Fähigkeit, sauber auf einem Bein zu landen. Dafür benötigt man eine gut entwickelte exzentrische Kraft. Es ist hilfreich, die verschiedenen Sprungformen bzw. Termini zu kennen:
- Jump (Sprung) – man hebt mit beiden Beinen ab und landet auf beiden Beinen. Diese Übung bildet die Basis vieler Programme, ist aber nicht der Hauptgrund für Kreuzbandverletzungen.
- Hop – man springt mit einem Bein ab und landet auf demselben Bein. Einbeinsprünge werden in vielen Programmen vernachlässigt, sind aber der Schlüssel für die Prävention von Kreuzbandrissen. Man sollte nach vorne, nach innen (zur Körpermitte) und zur Seite springen.
- Bound (Wechselsprung) – man stößt sich mit einem Bein ab und landet auf dem anderen Bein.
- Skipping (Hopserlauf) – zwei unmittelbar aufeinander folgende Bodenkontakte pro Fuß.
Progressiv schwerere, plyometrische Übungen
Der Ansatz ist einfach. Die Phasen sollten mindestens drei Wochen dauern; Sprünge können zweimal pro Woche ins Workout einbezogen werden. In unserem System gibt es an jedem Trainingstag plyometrische Übungen, aber jede Übung kommt nur einmal pro Woche vor.
Phase 1 – Beid- oder einbeinige Sprünge auf einen Kasten. Dies verringert die Wirkung der Schwerkraft und senkt die exzentrischen Kräfte. Beidbeinige Sprünge erfolgen stets nach vorne, einbeinige Sprünge auch zur Körpermitte und zur Seite.
Phase 2 – Beid- oder einbeinige Sprünge über ein Objekt. In Phase 1 haben wir versucht, die Wirkung der Schwerkraft und die daraus resultierende exzentrische Kraft zu verringern. In Phase 2 geht es nun darum, die schwerkraftbedingte Beschleunigung wieder einzuführen, indem wir beid- oder einbeinig über ein Objekt springen. Es gilt dasselbe Konzept wie oben, aber statt auf einen Kasten zu springen, springt man über eine Hürde. Es gibt Hürden in unterschiedlichen Größen zwischen 15 und 75 cm.
Qualität vor Quantität
Wenn die Qualität der Bewegungsausführung mit zunehmender Schwerkraft schwindet, liegt das vermutlich an mangelnder Kraft. Schreiten Sie in diesem Fall nicht zur nächsten Phase, sondern kehren Sie zur vorherigen Phase zurück. Die Trainerlegende Al Vermeil bringt es mit folgender Aussage auf den Punkt: Je schwerer (oder schwächer) der Athlet ist, umso kleiner sollte das Hindernis sein.
Phase 3 – Einführung der Elastizität. In Phase 3 werden dieselben Übungen benutzt wie in Phase 2. Der Unterschied ist, dass in Phase 3 ein kleiner Zwischensprung dazukommt. Worum es sich hierbei handelt, versteht man am besten, wenn man sich die nachfolgenden Videoclips ansieht.
Phase 4 – Echte Plyos. Das sind die reaktiven Sachen, die wir gemeinhin als Plyometrie bezeichnen.
Reduktionsstrategie 3 – Kraftentwicklung
Die Kraftentwicklung ist der zweite zentrale Aspekt. In der Verletzungsprävention muss das Kraftprogramm darauf ausgerichtet sein, im Einbeinstand funktionelle Bewegungen ausführen zu können.
Folgende Aspekte sind von zentraler Bedeutung:
- Körpergewichtsübungen – Progressionen auf einem Bein
- Entwicklung funktioneller Kraft – keine Kraftstationen
- Entwicklung der Kraft im Einbeinstand – andere Hüftmechanik
- Ausführung von knie- und hüftdominanten Einbeinübungen
Im Idealfall sollte jeder Athlet in der Lage sein, eine echte einbeinige Kniebeuge und einen einbeinigen Deadlift mit gestrecktem Knie auszuführen.
Reduktionsstrategie 4 – Konzepte für Richtungswechsel
Der Gedanke, Richtungswechsel zu unterrichten, ist vielen Trainern fremd. Wir lehren nicht nur die korrekte Ausführung einer Bewegung, sondern auch das richtige Timing dafür. In vielen Agilitätsprogrammen sprinten die Athleten einfach von Kegel zu Kegel. In unserem Programm werden aber die Konzepte für eine effektive Bewegungsfähigkeit unterrichtet. Es werden einfache Übungen verwendet, mit denen der Athlet lernt, wie er abbremst und die Beine diagonal setzt. Viele Konzepte beruhen auf den Fertigkeiten, die über pylometrische Übungen vermittelt werden.
Reduktionsstrategie 5 – Konditionstraining für Richtungswechsel
Das Konzept des Konditionstrainings für Richtungswechsel ist nicht neu. Basketballspieler benutzen schon seit Jahren sogenannte „Suicides“, Eishockeyspieler Stopp- und Startsprints. Footballspieler schwören auf Pendelläufe. Der starke Einfluss von Leichtathletiktrainern und technischen Errungenschaften wirkte sich jedoch negativ auf Spielsportarten aus. Viele Fitnessprogramme greifen mittlerweile auf Intervallprogramme zurück, die aus der Leichtathletik stammen und lineare Distanzen wie 100, 200 oder 400 Meter-Läufe benutzen. Zu allem Übel haben viele Athleten angefangen, Ergometer, Crosstrainer oder Stairclimber zu benutzen. In solchen Programmen fehlt oft die bewusste Einbeziehung von Abbrems- und Startvorgängen. Verletzungen treten vor allem am Anfang oder Ende einer Bewegung auf, wir müssen also gerade Stopps und Starts in das Konditionsprogramm trainieren, um Verletzungen zu verringern. An den Tagen, an denen wir keine Läufe mit Richtungswechseln durchführen, verwenden wir eine Gleitmatte für Seitwärtsbewegungen.
Fazit
Ein gutes Kraft- und Konditionsprogramm ist das beste Mittel, um einem Kreuzbandriss vorzubeugen. Denke an die Rezeptanalogie: Jede Zutat ist wichtig. Es darf nichts weggelassen werden. Als Kraft- und Konditionstrainer musst du auf deinen Athletiktrainer hören und seinen Standpunkt verstehen. Arbeite mit ihm, nicht gegen ihn. Wenn du Athletiktrainer oder Physiotherapeut bist, dann binde den Kraftcoach in dein Team ein. Eine gute Kooperation erleichtert die Arbeit für alle Beteiligten. Krafttrainer müssen ein Teil des Rehateams sein, und Athletiktrainer müssen erkennen, dass ein gutes Fitnessprogramm die Belastung im Kraftraum verringert. Wir alle müssen erkennen, dass die Prävention eines Kreuzbandrisses letztlich nur gutes Training ist.
Euer Michael Boyle