Proteinmanagement
Welchen Einfluss haben Proteine auf die Effektivität des Widerstandstrainings?
Der Einfluss von Proteinen bzw. Aminosäuren auf die Effektivität von Widerstandstraining ist unbestritten. Für optimale Ergebnisse in Bezug auf die Muskelproteinsynthese bedarf es jedoch einer differenzierten Betrachtungsweise, welche nicht nur die Menge, sondern auch die Art sowie das Timing der Proteinzufuhr berücksichtigt. In der Ausgabe 3/2020 – TRAININGSPLANUNG & -STEUERUNG untersucht Personal Coach und Autor Philipp Moser die Aspekte des Proteinmanagements und räumt zeitgleich mit gängigen Irrtümern auf.
Die hohen Leistungsstandards und die große Leistungsdichte machen es Athleten aller Disziplinen heute schwerer denn je, sich beständig und regelmäßig auf Top-Niveau zu behaupten. Neben geeigneten anthropometrischen, physiologischen, sportartspezifischen und technischen Voraussetzungen sowie der passenden mentalen Disposition wird vor allem das Widerstandstraining immer leistungsbestimmender. Ziel des Widerstandstrainings ist es, je nach Anforderung Kraft und/ oder Muskelmasse aufzubauen, um den Athleten robuster, schneller und stärker zu machen. Andererseits dient es auch dazu, Belastungskapazitäten zu erhöhen, Regenerationszeiten zu reduzieren und Verletzungen zu minimieren. Der Erfolg eines solchen Trainingsprogramms hängt von vielen Einflussfaktoren ab, die alle im Zusammenhang zu betrachten sind. Dazu zählt die Auswahl der Trainingsmethoden und -übungen, das Einhalten des erforderlichen Regenerationsbedarfs sowie die optimale Zufuhr von Nährstoffen und Flüssigkeiten. Proteine bzw. ihre Bausteine, die Aminosäuren, nehmen hinsichtlich der Erreichung der Ziele im Kraftraum eine vorrangige Rolle ein. Die Skelettmuskulatur ist sozusagen der größte Proteinspeicher des Körpers. Will man ihre Eigenschaften verbessern, müssen über Trainingsreize zuerst dosierte und reversible Schädigungen (Mikrotraumata) hervorgerufen werden, die dann durch den Einbau von Aminosäuren zuerst kompensiert und schließlich superkompensiert werden.
Die Muskelproteinsynthese
Dieser Prozess der Proteinneubildung in den Muskelzellen wird als Muskelproteinsynthese bezeichnet und stellt sozusagen den „Heiligen Gral“ des Muskelaufbaus dar. Im Körper und dementsprechend auch in der Muskulatur werden zwar ständig Eiweißstrukturen ab- und aufgebaut, jedoch kommt es hierbei selbst bei hoher Proteinzufuhr weder zu einem Kraftgewinn noch zu einem Muskelwachstum, da hierfür die Proteinsyntheseraten zu gering bleiben (ausgeglichene Nettoproteinbilanz). Erst durch ein entsprechend intensives bzw. volumenbetontes Belasten der Skelettmuskulatur in Kombination mit einer Aktivierung von Wachstumsfaktoren (z. B. mTor, IGF-1) und ausreichender Proteinzufuhr wird eine höhere Proteinsyntheserate getriggert. Diese ermöglicht es, Muskulatur aufzubauen und Kraftzuwächse zu erfahren (positive Nettoproteinbilanz).[1] Drei Faktoren haben einen direkten Einfluss auf die Proteinsynthese: der Testosteronspiegel, der Abbau von Eiweißstrukturen und die verfügbare Muskelmasse.[2]

Je höher der Testosteronspiegel, desto höher fällt die Muskelproteinsynthese aus. Demzufolge haben männliche Athleten deutlich höhere Syntheseraten als weibliche Athleten, da sie bis zu 15-mal mehr Testosteron ausschütten. Abgesehen davon kann jeder Mensch seinen Testosteronspiegel über Lifestyle-Anpassungen wie ausreichend Schlaf, gute Ernährung und Stressmanagement optimieren.
Je härter und/oder volumenbetonter das Widerstandstraining ausfällt, desto mehr Muskeleiweiß wird beschädigt oder gar abgebaut. Die Folge ist eine höhere potenzielle Proteinsynthese. Schließlich bedeutet eine höhere Muskelmasse auch einen tendenziell höheren Proteinabbau durch das Training, was wiederum die Post-Workout-Proteinsynthese ankurbelt.
Der Proteinabbau findet jedoch nicht nur in der Arbeitsmuskulatur statt, sondern auch in allen anderen vom Training belasteten Proteinstrukturen des Körpers, wie beispielsweise dem Hormonsystem, dem Immunsystem, den Faszien, Sehnen und Bändern. Die Muskelproteinsynthese macht demnach nur ungefähr 30 Prozent der gesamten Proteinsynthese im Körper nach einer Belastung aus. Um die Proteinsynthese allgemein und speziell die Muskelproteinsynthese zu maximieren, können ernährungsseitig vor allem drei Faktoren manipuliert werden: die zugeführte Menge an Proteinen bzw. Aminosäuren, deren Qualität und das Timing der Proteinzufuhr.
Die optimale Proteinmenge
Sowohl die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) als auch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) legt den täglichen Proteinbedarf eines gesunden Erwachsenen mit 0,8 g pro Kilogramm Körpergewicht fest. Dieser Wert ist aber nach Expertenansicht gerade einmal ausreichend, um den Bedarf eines gesunden Menschen mittleren Alters in Ruhe zu decken.
Für geistig und körperlich aktive Menschen sowie Athleten stellt diese Zufuhrmenge jedoch keinen brauchbaren Benchmark dar, zumal ein erhöhtes Maß an Aktivität zu einem stärkeren Verschleiß von Proteinen im Körper führt. Athleten beschädigen durch Trainingsinterventionen nicht nur Muskelproteine – sie schwächen kurzfristig auch das Fasziennetzwerk (Kollagen), sie bauen verstärkt Enzyme und Hormone ab und benötigen also weiteres Protein zur Wiederherstellung belasteter Gelenke, Sehnen und Bänder.
Bei regelmäßigem Krafttraining bewegt sich der tägliche Proteinbedarf eher im Bereich 1,2–2,0 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht (g/kg KG).[3] Allerdings gibt es Hinweise dafür, dass erfahrene Athleten im Laufe des Trainingsprozesses besser darin werden, den Stickstoff aus den Nahrungsproteinen zu verwerten, sodass es im fortgeschrittenen Alter eines Athleten sogar zu einem leichten Rückgang des Proteinbedarfs kommen kann.[4]
Im Kraftsport gibt es genügend Beispiele dafür, dass mit Erfolg deutlich höhere Mengen an Protein zugeführt werden. Strength Coach Wolfgang Unsöld verweist hierzu auf Bodybuilder mit 600 Gramm täglich oder mehr und meint dabei sinngemäß: Wer einen Wolkenkratzer bauen möchte, braucht dazu mehr Beton im Fundament als für ein Einfamilienhaus. Der „Beton“ des Athleten ist das Eiweiß und seine Aminosäuren. Wer Muskulatur und Kraft aufbauen möchte, braucht täglich deutlich mehr davon als die von Gesundheitsbehörden festgesetzten 0,8 g/kg Körpergewicht.

Tabelle 1: Tagesbedarf an essenziellen Aminosäuren lg. WHO und Aminosäureprofil ausgewählter Proteinquellen (in mg – pro 100 g Lebensmittel)[5]
Neben der optimalen Menge an Protein muss dabei auch die Kalorienbilanz beachtet werden. Die tägliche Gesamtkalorienzufuhr sollte sich für diese Zwecke bei 44–50 kcal/kg Körpergewicht einpendeln, wobei die Makronährstoffkombination zu berücksichtigen ist. Muskelwachstum erfordert eine positive Energiebilanz (Kalorienüberschuss) und geht stets mit einem Wachstum von Fettgewebe einher. Um Fetteinlagerungen im Zuge des Muskelaufbaus gering zu halten, ist es ratsam, im Bereich 44–50 kcal/kg Körpergewicht zu bleiben. Werden zu viele Kalorien über Kohlenhydrate zur Verfügung gestellt, neigen viele Athleten zu Fettansatz. Wird hingegen zu viel Eiweiß aufgenommen, besteht die Gefahr der übermäßigen Proteinoxidation. Somit läuft der Proteinstoffwechsel suboptimal, denn der Körper wird gut darin, Proteine energiebringend zu verstoffwechseln, statt diese als Struktureiweiß (beispielsweise in der Muskulatur) einzubauen. Da auch Faktoren wie (Trainings-)Alter, Geschlecht und generelles Stressniveau den Energiebedarf beeinflussen, muss der Athlet im Einzelfall mit unterschiedlichen Makronährstoffkombinationen experimentieren und dabei die Proteinzufuhr über den kritischen ~1,2 g/kg Körpergewicht halten.
Die optimale Proteinquelle
Jedoch ist Protein nicht gleich Protein, denn neben der Zufuhrmenge ist auch die Proteinquelle entscheidend für das ausschöpfbare Maß an Muskelproteinsynthese. Proteine bestehen bekanntlich aus mehreren unterschiedlichen Aminosäuren, die in einer ganz bestimmten Sequenz aneinandergereiht und in einer spezifischen Form gefaltet sind. Jede Proteinquelle verfügt über ein anderes Aminosäurenprofil, wodurch sich die Auswirkungen auf die körpereigene Proteinsynthese unterscheiden.
Hierbei ist vor allem das Vorhandensein aller essenziellen Aminosäuren (EAAs) in der erforderlichen Menge innerhalb der Proteinquelle von großer Relevanz (vollständiges Protein). Liegen bestimmte Aminosäuren nur in unzureichender Menge vor oder fehlen diese sogar komplett, stockt im Körper die Proteinsynthese. Dies betrifft vorwiegend bestimmte pflanzliche Proteinquellen (z. B. Erbsen). In solchen Fällen ist es sinnvoll, unterschiedliche Proteinquellen zu jeder Mahlzeit zu kombinieren, um insgesamt ein ausgewogenes Spektrum der neun essenziellen Aminosäuren aufzunehmen.
Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema untersuchen meist die Unterschiede zwischen Kuhmilch, Whey, Casein und/oder Sojaprotein hinsichtlich des Effekts auf die Muskelproteinsynthese in Kombination mit regelmäßigem Widerstandstraining. Mittlerweile gibt es etliche mehr oder weniger genaue Kennzahlen zur Bestimmung der Wertigkeit von Proteinen.
Die überholte, jedoch immer noch verbreitetete „biologische Wertigkeit“ (BW) gilt als Maß dafür, wie viel körpereigenes Protein aus dem aufgenommenen Nahrungsprotein aufgebaut werden kann. Seit 1993 ist jedoch der „Protein digestibility- corrected amino acid score“ (PDCAAS) als Standard anerkannt und stellt die bevorzugte Methode zur Qualitätsmessung von Nahrungsmittelproteinen dar. Vergleicht man die vier genannten Proteinquellen, fällt auf, dass sie sich hinsichtlich des PDCAAS nicht unterscheiden, sehr wohl jedoch hinsichtlich der älteren Messmethode der biologischen Wertigkeit. Somit ist auch der Nutzen des PDCAAS für diese Zwecke fraglich, da er alle vier Proteinquellen gleich einstuft. Dies spiegeln auch die meisten Studienergebnisse, die den tierischen Proteinquellen den Vorzug geben, wider, zumal deren Aufnahme zu größeren gemessenen Muskelzuwächsen führt.

Der Eiweißgehalt von Kuhmilch besteht zu ungefähr 80 Prozent aus Casein und zu ca. 20 Prozent aus Whey Protein. Aufgrund der schlechten Verträglichkeit kommt der Konsum von Kuhmilch in den erforderlichen Mengen für viele Athleten als Pre- oder Post-Workout-Drink nicht infrage. Casein und Whey haben zwar beide ein exzellentes Aminosäureprofil mit allen essenziellen Aminosäuren, jedoch ist als Supplement dem Whey der Vorzug zu geben – auch hier geht es wieder um Aspekte der Verträglichkeit. Außerdem wird Whey schneller als Casein verdaut und kann somit der Muskulatur die erforderlichen essenziellen Aminosäuren früher bereitstellen. Mittlerweile weiß man, dass die Muskelproteinsynthese eher von einem schnell verfügbaren Schub an Aminosäuren profitiert als von einer zeitlich verzögerten und konstanteren Zufuhr, wie sie durch Casein erfolgt.
Der Wachstumsfaktor mTor
Über die Qualität einer Proteinquelle hinsichtlich der Stimulierung der Proteinsynthese entscheidet auch die Frage, wie gut das betreffende Protein das Wachstumsenzym mTor aktivieren kann. Der Wachstumsfaktor mTor ist selbst ein langkettiges Protein und in Säugetieren unter anderem für das Wachstum und die Vermehrung von Zellen (Zellproliferation) zuständig. Somit löst mTor bei Vorhandensein von (essenziellen) Aminosäuren im Blutplasma auch Wachstumsprozesse des Muskelgewebes aus, wenn dieses davor mechanisch stimuliert wurde (beispielsweise durch Trainingsreize).
Über die Schlüsselrolle von Leucin scheint man sich weltweit einig zu sein. Die Aufnahme von Leucin ist ausschlaggebend für die Aktivierung des mTor-Signalweges, der die Muskelproteinsynthese erst ermöglicht. Bereits 3–4 g Leucin können dabei die maximale Proteinsynthese einleiten; dies entspricht in etwa einer Supplementierung mit ca. 6–8 g essenziellen Aminosäuren (EAAs) bzw. ca. 20–25 g Whey Protein. Die Einnahmen von höheren Dosen würden in den Stunden nach dem Trainingsreiz zu keiner weiteren Stimulierung der Proteinsynthese führen. Idealerweise wird dazu noch eine schnell verstoffwechselbare Form von Zucker (z. B. Glucose, Maltodextrin) eingenommen, zumal Leucin nur unter Ausschüttung von Insulin seine maximale Wirkung auf die Proteinsynthese entfalten kann. Mit Blick auf Tabelle 1 könnte man meinen, dass dies auch auf pflanzliche Proteinquellen zuträfe, da Erbsen und Sojabohnen höhere Leucinkonzentrationen aufweisen als Milch bzw. Rindfleisch. Doch weit gefehlt! Hier scheint das verminderte Vorkommen der essenziellen Aminosäure Methionin in pflanzlichen Eiweißquellen eine hemmende Wirkung auf mTor bzw. auf Aufbauprozesse zu haben.[6] Der hohe Leucingehalt dürfte somit durch einen zu geringen Methioningehalt an Wirkung einbüßen.
In Laborversuchen mit Mäusen schneidet Sojaprotein im Vergleich zu Whey Protein und Casein schlechter ab, wenn es darum geht, mTor zu aktivieren. Sojagefütterte Mäuse nahmen während einer 2017 durchgeführten Studie der Wageningen University deutlich mehr Fettmasse und weniger Muskelmasse zu als Tiere, an die tierisches Protein verfüttert wurde.[7]
Die Erfahrungen im professionellen Kraftsport zeigen schon lange, was uns die Wissenschaft der letzten Jahre vermittelt: Zur Optimierung der Muskelproteinsynthese sind schnell verfügbare tierische Proteinquellen vorteilhafter als Pflanzenproteine. Jedoch kann man auch mit pflanzenbasierter Ernährung seine Ziele genauso gut erreichen, wenn man gewisse Dinge beachtet. Dabei scheint der Leucingehalt (3–4 g) der Proteinquelle entscheidend zu sein.
Wer sich pflanzenbasiert ernährt, kann dennoch gute Ergebnisse in Bezug auf die Muskelproteinsynthese erreichen, wenn es zu einer sinnvollen Kombination unterschiedlicher Proteinquellen kommt und man die tägliche Proteinzufuhr leicht erhöht. Somit erhöht man tendenziell die Aufnahme von Methionin und stellt außerdem sicher, dass mit jeder Mahlzeit das erforderliche Aminosäurenprofil bereitgestellt wird. Mittlerweile gibt es aber auch hochwertige vegane Supplemente, die diesen Zweck gut erfüllen.
Das richtige Timing
Sind die optimale Proteinmenge und die bestmögliche Proteinquelle für das Erreichen des Trainingsziels ermittelt worden, stellt sich nur noch die Frage, wann man wie viel davon konsumieren sollte. Unter „Protein-Timing“ versteht man die Ermittlung der optimalen Zeitpunkte für den Verzehr von proteinreichen Lebensmitteln. Durch eine entsprechend zeitliche Planung der Proteineinnahme vor, während und/ oder nach dem Training verspricht man sich das Maximum an möglicher Muskelproteinsynthese zu generieren. Manche Autoren sprechen dem Timing sogar eine größere Bedeutung zu als der aufgenommenen Proteinmenge. Die Studienlage hinsichtlich des Protein-Timings ist äußerst umfangreich und scheint widersprüchliche Ergebnisse zu liefern.
Eine australische Studie verglich 2013 drei verschiedene Dosierungs- und Timing-Strategien an jungen kraftsporterfahrenen Athleten während eines Zeitfensters von 12 Stunden nach erfolgtem Trainingsreiz (bilaterale Beinstreckung).[1] Jede Gruppe erhielt über die gemessene Zeit insgesamt 80 g Whey Protein, das in insgesamt einem Liter Wasser aufgelöst dargeboten wurde:
Die Einnahme von 4 x 20 g Whey in einem Zeitabstand von jeweils drei Stunden (Gruppe 2) führte dabei zu den größten Proteinsyntheseraten (festgestellt über Muskelbiopsie) unter diesen standardisierten Bedingungen. Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob diese Ergebnisse reproduzierbar sind, sobald man andere Proteinquellen bzw. diese im Zuge einer vollen Mahlzeit zu sich nimmt. Wie würde es ferner aussehen, wenn die Probanden eine Nacht zur Erholung gehabt hätten? Es bleiben also wichtige Fragen unbeantwortet.
Interessanterweise stehen obige Ergebnisse im Einklang mit dem mutmaßlichen „muscle full effect“,[8] welcher der Skelettmuskulatur nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit essenzieller Aminosäuren zuschreibt. Die Gabe essenzieller Aminosäuren nach einer Kraftbelastung erhöht die Muskelproteinsynthese in einem Zeitfenster von bis zu zwei Stunden bis über das Dreifache des Ausgangswertes. Danach fällt die Syntheserate wieder auf das Ausgangsniveau zurück, selbst wenn noch genügend Aminosäuren in der Muskulatur verfügbar sind. Man geht davon aus, dass überschüssige Aminosäuren im Zuge der Gluconeogenese wieder zu Zuckermolekülen umgebaut und oxidiert werden. Somit würden höhere Gaben als ca. 6–8 g EAAs bzw. 20–25 g Whey Protein in Bezug auf die Muskelproteinsynthese keinen Mehrwert liefern, sondern lediglich verstoffwechselt werden.
An anderer Stelle wird auch die Proteinsupplementierung vor dem Widerstandstraining (Pre-Workout) bzw. während des Trainings selbst diskutiert. Auch hier gibt es neben neutralen auch entsprechend positive Ergebnisse, die auf einen Timing-Vorteil schließen lassen. Ein Argument für diese Varianten des Protein-Timings ist, dass gerade während des Trainings die stark erhöhte Muskeldurchblutung ideale Voraussetzungen bietet, um Aminosäuren schnell und umfassend in die Muskulatur einzuschleusen. Andererseits ist natürlich der Stimulus zur Proteinsynthese gerade während der Trainingsbelastung am höchsten, womit der Aminosäureneinbau begünstigt würde.
Ein weiterer Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Nachtruhe. Da während des Schlafs keine Proteinzufuhr stattfinden kann, sind die nächtlichen Proteinsyntheseraten in der Regel gering. Um den Aminosäureneinbau in die Muskulatur während dieser Zeit zu erhöhen, scheint eine Proteingabe kurz vor der Bettruhe ratsam zu sein (beispielsweise 20–25 g Whey).
Ebenso empfehlen erfahrene Strength Coaches, den Tag mit einer proteinreichen Mahlzeit zu beginnen – einerseits, um den Proteinbedarf des Athleten zu decken, andererseits, um unnötige Blutzuckerschwankungen mit all ihren negativen Auswirkungen auf die kognitive und physische Leistung während des Tages zu unterbinden.
Die derzeitige Studienlage lässt jedenfalls den Schluss zu, dass das oft zitierte anabolische Zeitfenster nach dem Widerstandstraining deutlich größer ist als die bisher angenommenen wenigen Stunden. Möglicherweise liegt es irgendwo im Bereich zwischen ein und zwei Tagen. Dies würde bedeuten, dass Timing-Aspekte bezüglich der Proteinaufnahme deutlich weniger entscheidend für die Muskelproteinsynthese sind als die Sicherstellung der Proteinaufnahme in der erforderlichen Quantität und Qualität (Aminosäurenprofil).[9][4]

Abbildung 2 verdeutlicht diese Annahme und zeigt, dass die durch Training induzierte Erhöhung der Muskelproteinsynthese relativ langsam wieder absinkt. Dieses Modell zeigt zwar weiterhin, dass frühe Gaben von Protein in den ersten Post-Workout-Stunden am effektivsten sind, jedoch scheint der vorangegangene Trainingsreiz nicht wirkungslos zu sein, wenn die erste proteinreiche Mahlzeit erst etliche Stunden nach dem Training erfolgt. Man sieht außerdem, dass durch eine Proteinzufuhr die Syntheserate auch noch nach 24 Stunden für kurze Zeit sprunghaft ansteigt und die synergistische Wirkung von Widerstandstraining und Proteinzufuhr aufrechtbleibt. Dieser „muscle full effect“ scheint also zu jedem Zeitpunkt die maximale Proteinsyntheserate zu begrenzen.
So komplex das Thema „Proteinmanagement“ auch ist, unser heutiges Verständnis von Trainingsmaßnahmen und Proteinkinetik erlaubt es uns, daraus wertvolle Regeln für die Praxis abzuleiten:
- Fokus auf täglich ausreichende und qualitative Proteinzufuhr
- Zu jeder Mahlzeit Protein aufnehmen
- Alle drei bis vier Stunden ausreichend Protein zuführen (z. B. 20 g Whey)
- Bei pflanzenbasierter Ernährung auf ausreichende Kombination unterschiedlicher Proteinquellen achten (möglichst zu jeder Mahlzeit)
- Den Tag mit proteinreicher Kost beginnen und beenden
- Je nach Möglichkeit und Verträglichkeit vor, während und/ oder nach dem Training Protein in leicht zugänglicher Form konsumieren
- Gegebenenfalls mit etwas Leucin und Glucose supplementieren
- Genügend Schlaf und Einhalten des Regenerationsbedarfs
Die unterschiedlichen Facetten des Proteinmanagements sind zwar schon gut erforscht, jedoch gibt es noch genügend Fragen, welche die Wissenschaft bisher noch nicht eindeutig beantworten konnte (beispielsweise Protein-Timing). Ein Problem derartiger Untersuchungen ist, dass stets nur Teilaspekte analysiert werden können, zumal es unmöglich ist, alle Variablen zu kontrollieren, welche die Muskelproteinsynthese beeinflussen (Mikrobiom, Stoffwechsel, Stress, Motivation, Compliance etc.). Studien werden aus Gründen der Praktikabilität in der Regel mit kaum mehr als 30 Probanden durchgeführt und es fehlt nach wie vor an aussagekräftigen Langzeitstudien in Zusammenhang mit Widerstandstraining. Es bleibt also dabei, sich „best practices“ von den erfolgreichsten Trainern bzw. Athleten abzuschauen und diese bestmöglich im eigenen Trainingsprozess umzusetzen. Der Weg über Versuch und Irrtum wird dabei niemandem erspart bleiben, denn schließlich haben wir alle unterschiedliche Voraussetzungen, die sich auch unterschiedlich auf Trainings- und Ernährungsinterventionen auswirken.
Quellenverzeichnis:
[1] Areta, J. L. et al. (2013). Timing and distribution of protein ingestion during prolonged recovery from resistance exercise alters myofibrillar protein synthesis. The Journal of Physiology, May 1; 591 (Pt 9), 2319–2331.
[2] Unsöld, W. (2017). Ask The Coach, 1. Auflage. München: Riva Verlag.
[3] Stark, M. et al. (2012). Protein timing and its effects on muscular hypertrophy and strength in individuals engaged in weight-training. Journal of the International Society of Sports Nutrition 9, 54.
[4] Schoenfeld, B. J. et al (2013). The effect of protein timing on muscle strength and hypertrophy: a meta-analysis. Journal of the International Society of Sports Nutrition, Volume 10, 53.
[5] Dr. Gehring Vitalstoffe GmbH & Co. KG. www.eucell.de
[6] Kast, B. (2018). Der Ernährungskompass, 1. Auflage. München: C. Bertelsmann Verlag.
[7] Kar, S. K. et al. (2017). Dietary protein sources differentially affect microbiota, mTOR activity and transcription of mTOR signaling pathways in the small intestine. PLOS ONE. 2017; 12(11).
[8] Aterhton, P. J. et al. (2010). Muscle full effect after oral protein: time-dependent concordance and discordance between human muscle protein synthesis and mTORC1 signaling. The American Journal of Clinical Nutrition, Volume 92(5), 1080–1088.
[9] Churchward-Venne, T. A. et al. (2012). Nutritional regulation of muscle protein synthesis with resistance exercise: strategies to enhance anabolism. Nutrition & Metabolism, Volume 9(40).

Philipp Moser ist leidenschaſtlicher Personal Trainer, Mentaltrainer und Lehrbeauftragter im Gesundheits- und Trainingsbereich. Er befasst sich intensiv mit funktionellem Kraſt- und Bewegungstraining, Sporternährung, Stand-up-Paddling (SUP) sowie dem Basketballsport. Als freier Autor verfasst er SUP-Guides sowie Fachartikel. Seine Publikationen findest du u. a. auf www.bodymindfit.at
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