Wir Menschen haben rein theoretisch die besten körperlichen Voraussetzungen für ausdauerndes Laufen. Weshalb macht uns jedoch gerade unser Körper allzu oft einen Strich durch die Rechnung, sobald wir das Trainingspensum oder die Intensität steigern? Der Grund hierfür liegt häufig in einer falschen Lauftechnik – einem Fehler im Bewegungsablauf, der zur Überbeanspruchung von Strukturen und damit zu Überlastungsverletzungen führt. Im Folgenden wird zuerst die Biomechanik des Laufens beschrieben und wie sie sich von der des Gehens unterscheidet. Anschließend werden die häufigsten Lauffehler und die häufigsten Laufverletzungen sowie die Gründe dafür thematisiert, um zum Schluss die wichtigsten Aspekte einer Laufanalyse zu betrachten.
Biomechanik des optimalen Laufens
Die Technik des Gehens unterscheidet sich grundlegend von der des Laufens: das Gehen ist mechanisch, das Laufen ist dynamisch/elastisch. Beim Gehen bewegt sich das Bein wie ein steifes Pendel nach vorne und wird vor dem Körperschwerpunkt mit der Ferse zuerst aufgesetzt. Beim Laufen beschreibt das Bein in etwa die Form eines Kreises, wobei der Fuß ziemlich direkt unterhalb des Körperschwerpunkts aufgesetzt wird. Der Fuß wird im Normalfall in neutraler Position, also flach aufgesetzt. Je nach Gelände und Geschwindigkeit kann dies jedoch variieren. So tritt beispielsweise ein Läufer im ansteigenden Gelände oder ein Sportler im Sprint oder Antritt eher auf dem Vorfuß und im abfallenden Gelände eher auf der Ferse auf. Wenn der Fuß unter dem Körperschwerpunkt (oder einige Zentimeter davor) den Boden berührt, nehmen Strukturen wie Faszien, Muskeln und Sehnen in den Füßen und Beinen Energie auf und speichern diese. Diese Energie wird bei Verlassen des Bodens wieder freigesetzt und katapultiert den Läufer nach vorne. Unser Körper funktioniert beim Laufen also wie eine Feder. Dabei kommt vor allem der großen Faszienzugbahn, die von der Plantarfaszie über die Achillessehne zur großen Lendenfaszie bis zum Kopf nach oben zieht, eine große Bedeutung zu. Außerdem ist die Gesäßmuskulatur für den Läufer von unverzichtbarer Bedeutung, was dazu führt, dass Dysfunktionen ein großes Überlastungs- und Verletzungsrisiko für den Läufer darstellen. Die Gesäßmuskulatur ist neben der Erzeugung des Vortriebs durch die Hüftstreckung für die Stabilisierung des Beckens und des Rumpfs sowie die Aufrichtung des Oberkörpers verantwortlich. Einen guten Läufer zeichnen außerdem ein ruhiger, stabiler Oberkörper und ein aktiver Armschwung aus. Durch die diagonale Armbewegung entsteht eine entgegengerichtete Rotation des Schultergürtels im Vergleich zur Hüfte, welche vom Rumpf stabilisiert werden muss. Die Rumpfmuskulatur muss also antirotatorisch arbeiten.
Häufigste Lauffehler und ihre möglichen Folgen
In unserem Trainingszentrum KörperBau analysieren wir tagtäglich den Laufstil unserer Kunden und Patienten – angefangen vom Hobbyläufer über Spitzenläufer bis hin zu Handball- oder Fußballspieler. In vielen Fällen führt ein Fehler im Bewegungsablauf des Laufens bzw. Sprintens zu einer Überlastung einer oder mehrerer Strukturen. Meist tritt die Überlastung erst dann zu Tage, wenn der Belastungsumfang oder die Intensität rasch gesteigert wurde und der Körper nicht mehr in der Lage ist die Überlastung zu kompensieren. Einer der am häufigsten beobachteten Fehler ist, dass der Sportler mit den Beinen keine Kreisform beschreibt, sondern eine ellipsenförmige Pendelbewegung durchführt. Die Lauftechnik ähnelt in dem Fall eher einer etwas schneller und dynamischer ausgeführten Form des Gehens. Der Fuß wird dementsprechend deutlich vor dem Körperschwerpunkt mit der Ferse zuerst aufgesetzt, was enorme Stauchbelastungen für Sprunggelenk, Knie, Hüfte und den unteren Rücken bedeuten, welche von einem gut gedämpften Schuh bei weitem nicht abgefedert werden können. Diese Art von Laufstil geht in den allermeisten Fällen mit einer Minderaktivierung der Gesäßmuskulatur einher, was bedeutet, dass der Läufer seinen Vortrieb hauptsächlich über die Streckung des Knies (Quadrizeps) und über die Wadenmuskulatur produziert. Häufig klagen diese Sportler – spätestens bei einem deutlichen Anstieg des Trainingsumfangs und der Trainingsintensität – über Überlastungen im Hüftbeuger-/ „Leisten“- Bereich und/ oder der Achillessehne. Auch bei Verletzungen wie Schambeinentzündungen kann häufig ein Zusammenhang zu einem ähnlichen Laufmuster gefunden werden. Arbeitet der Gesäßmuskel zu wenig (oder gar nicht), erfüllt er auch die so wichtige Funktion der Stabilisierung des Beckens in der Standbeinphase nicht (ausreichend), was bei der Analyse von hinten am seitlichen Abkippen des Beckens zur Spielbeinseite erkennbar wird. Anderer Muskel-Sehnen-Strukturen versuchen diese Instabilität zu stabilisieren – in diesem Fall der Tensor Fasciae latae über den Tractus iliotibialis. Beim normalen Gehen gelingt ihnen dies auch, beim Laufen und Sprinten sind sie damit jedoch überfordert und neigen zur Überlastung, was sich in vielen Fällen in Schmerzen am Ursprung des Muskels am vorderen Teil des Beckenkamms oder noch häufiger in Schmerzen am Ansatz der Sehnenplatte am lateralen Condylus der Tibia äußert („Runner`s Knee“). Außerdem klagen Sportler, die ihren Schritt lang nach vorne ziehen und vor dem Körperschwerpunkt auf der Ferse landen häufig über Schmerzen im unteren Rücken, die auf die enormen Stauchbelastungen zurückzuführen sind. Nicht zuletzt führt ein solcher Laufstil selbstverständlich auch dazu, dass durch das Abbremsen bei jedem Schritt ein nicht unerheblicher Zeitverlust entsteht.
Ein weiteres, häufig zu beobachtendes Laufstilmerkmal ist ein zu passiver Armeinsatz. Ein aktiver Armschwung – die Arme sind dabei in etwa 90 ° gebeugt und schwingen aus der Schulter in Richtung Kinn und bis hinter den Rücken – ist für den Laufrhythmus und die Stabilität im Rumpf unverzichtbar. Schwingen die Arme nicht oder nur wenig mit, geht der Rotationsimpuls in den Rumpf über, der dann instabil wird und rotiert. Außerdem unterstützt ein aktiver Armschwung die Entwicklung des Vortriebs.
Analyse der Lauftechnik
Das Angebot für verschiedenste Laufanalysen ist heutzutage so groß wie nie zuvor. Sportfachhändler, sportmedizinische Institute, Orthopäden oder Orthopädietechniker bieten Laufanalysen teilweise als kostenlose Serviceleistung und teilweise als kostspielige Exklusivleistung an. So groß das Angebot auch sein mag, erweist es sich als äußerst schwierig, eine aussagekräftige Laufanalyse zu bekommen. Oftmals besteht das Ziel der Analyse lediglich im Verkauf des „optimalen“ – meist teuren – Laufschuhs oder der Anfertigung von Schuheinlagen. Ziel einer Laufanalyse sollte es jedoch viel mehr sein, Fehler im Bewegungsablauf, also in der Lauftechnik, aufzudecken, um somit mögliche oder schon existierende Überlastungen zu vermeiden bzw. zu lindern.
Vor Beginn der Laufanalyse werden folgende Informationen zum Probanden benötigt: Auf welchem Leistungsniveau befindet er sich? Was sind seine Ziele? Hat er aktuelle oder vergangene Beschwerden? Die optimale Lauftechnik eines Langstreckenläufers sieht anders aus als die eines Fußballspielers oder die eines Laufanfängers, dessen Ziel es ist 5 km beschwerdefrei laufen zu können. Nach einer kurzen Phase der Laufbandgewöhnung und des Aufwärmens wird der Proband bei der für ihn relevanten Geschwindigkeit gefilmt. Ein Wettkampfläufer wird in etwa bei seiner Wettkampfgeschwindigkeit gefilmt, ein Spielsportler annähernd im Sprint und ein Freizeitläufer in seinem gewohnten Trainingstempo. Für eine vollständige Analyse werden Videoaufnahmen aus der seitlichen Perspektive und von hinten benötigt, die unbedingt den ganzen Läufer erfassen müssen und nicht nur die untere Extremität oder gar nur abwärts des Knies, wie es leider häufig gemacht wird. Anhand einer Videoanalysesoftware, die lediglich eine Zeitlupenfunktion und einige Zeichentools benötigt, werden die Aufnahmen analysiert. Aus der seitlichen Perspektive können Merkmale wie Fußposition beim Auftreten (auf der Ferse, flach oder auf dem Vorfuß; vor oder unter dem Körperschwerpunkt, …), Beinbewegung (Pendel- oder Kreisbewegung), Oberkörperhaltung, Schrittlänge (z.B. Unterschied rechts/ links) und Armschwung analysiert werden. Die Aufnahme von hinten ermöglicht die Beurteilung der Beinachsen, der seitlichen Stabilität des Beckens und der Rotationsstabilität im Oberkörper. Im Optimalfall bleibt das Becken (Hosenbund) während eines Schrittzyklus stabil waagrecht und die Beine bewegen sich wie zwei parallel auf Schienen verlaufende Scheiben. Anhand der Laufanalyse können oft nur die sichtbaren Lauffehler beobachtet werden, nicht aber die dahinter steckenden Gründe. Diese müssen im Anschluss anhand eines Movement Screens aufgedeckt werden. Steckt eine muskuläre Dysbalance oder ein Ansteuerungsproblem hinter dem Bewegungsfehler? Welches ist der Hauptfehler und welches sind Folgefehler davon?
Beispielsweise ist bei der Aufnahme von hinten häufig ein seitliches Abkippen des Beckens in der Standbeinphase zur Spielbeinseite zu beobachten. Mögliche Gründe hierfür könnten eine zu schwache (seitliche) Gesäßmuskulatur und/ oder eine zu späte Aktivierung dieser sein. Als mögliche weitere Folgen sind häufig ein adduzierter, innenrotierter Femur und eine Pronationsstellung des Fußes zu beobachten und die betroffenen Sportler klagen meist über eine hohe Spannung im Tractus iliotibialis und oft auch Schmerzen an dessen Ansatz. Diese Ursachen-Folge-Kette kann nur durchbrochen werden, wenn der tatsächliche Grund für das seitliche Abkippen des Beckens gefunden wird. Die leider häufig verordneten und verkauften Einlagen oder Laufschuhe mit Pronationsstütze beheben die Ursache des Problems nicht, sondern verschlimmern es im Gegenteil sogar häufig noch.
Optimierung des Laufstils
Entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Laufen eine komplexe Fertigkeit, die erlernt werden sollte und perfektioniert werden kann – genau wie die Kraultechnik im Schwimmen oder ein Aufschlag beim Tennis. Der Brite Mike Antoniades, weltbekannter Athletik- und Lauftrainer, gründete hierfür ein einzigartiges Analyse- und Lauftrainingskonzept (www.the-running-school.de), das in England weit verbreitet ist, in Deutschland jedoch nur einen einzigen Standort hat. Eine optimale Lauftechnik zu erlernen oder gar einen alten Lauffehler zu beheben, erfordert einen zeitintensiven Trainingsaufwand, bei dem neben den Trainingsprinzipien für die strukturellen Anpassungen auch die Prinzipien des optimalen motorischen Lernens (sehr viele Wiederholungszahlen, hohe Intensitäten, ausreichend lange Pausen, usw.) beachtet werden müssen. Langfristig wird sich die Mühe für das Erlernen des optimalen Laufbewegungsmusters jedoch bezahlt machen durch ein verletzungsfreies, ökonomisches und schnelleres Laufen.
Eure Maria Härter
Kann nur sagen Top Beitrag!
LG aus Tirol
UEFA PRO TRainer
Roland Ortner
Liebe Maria,
Respekt, super Beitrag! Für jeden super verständlich und an Fachwissen nicht zu überbieten!
Hallo Maria,
ein wirklich sehr interessanter, informativer und verständlicher Beitrag. Vielen Dank dafür.
super!