Aufbau der Trainingseinheiten
Der Schlüssel zu erfolgreicher Verletzungsprophylaxe ist gute Planung. Unser Trainingsaufbau hat immer diese Abfolge:
• Einsatz der Hartschaumrolle
• statisches Dehnen
• dynamisches Aufwärmen
• Kraftentwicklung
Keiner dieser Teile darf weggelassen werden, denn jeder hat seinen bestimmten Zweck, der von keinem anderen Teil übernommen werden kann. Die Sportler brauchen genügend Zeit für die Massage
mit der Hartschaumrolle und müssen wissen, dass Hüfte, Adduktoren sowie die Mobilisation und Brustwirbelsäule besonderer Beachtung bedürfen. Sie müssen die erforderlichen Dehnübungen beherrschen und korrekt ausführen. Das ist leider nur selten der Fall. Insbesondere Sportler, die sehr steif sind, dehnen, wenn überhaupt, nicht effektiv. Sie nehmen zwar eine Körperhaltung ein, die aussieht wie bei einer Dehnung, aber in Wirklichkeit erreichen sie den Muskel nicht. Jene, die gern dehnen, sind meist beweglich und benötigen das Stretching vielleicht gar nicht; jene, die es nicht mögen, haben es dafür umso nötiger.
Setze Dehnübungen ein, bei denen das eigene Körpergewicht als Widerstand dient, oder benutze Kästen, Tische bzw. Hartschaumrollen. Nach der Rollenmassage, dem statischen Dehnen und aktiven Aufwärmen werden Kraftübungen speziell für den Hüftbeuger und über 90° für den Psoas ausgeführt.
Wir arbeiten dabei in drei Schritten:
Schritt 1: Hüftbeugung in Rückenlage
Schritt 2: Hüftbeugung im Stehen
Schritt 3: Hüftbeugung im Stehen, Adduktion und Hüftbeugung in Bauchlage
Worauf du achten solltest
Überprüfe, ob bei den Athleten übermäßige Abduktions-, aber limitierte Hüftstreckfähigkeit vorhanden ist. Grundsätzlich kann angenommen werden, dass bei einem Sportler, der in der V-Dehnung (klassische Adduktorendehnung im Sitzen) mehr als 110°, beim Thomas-Test jedoch nur eine neutrale Position erreicht, eine Dysbalance vorliegt. Trainieren in diesem Fall als Teil des aktiven Aufwärmens die Hüftdehnung über 90°, um den Psoas zu aktivieren. Die Dehnung sollte zehn Sekunden gehalten werden. Trainiere die Hüftbeugung auch in Verbindung mit Adduktion. Achte darauf, dass die Sportler nicht instinktiv die Hüfte nach innen drehen.
Was du vermeiden solltest
Vermeide wenn möglich operative Eingriffe. Chirurgen folgen immer der gleichen Routine: Sie verordnen die orale Einnahme von Entzündungshemmern, spritzen dann noch mehr Entzündungshemmer, und schließlich schneiden sie etwas weg. Wenn also ein Patient zweimal zum Arzt zurückkehrt, ohne Besserung verzeichnen zu können, ist eine Operation quasi vorprogrammiert. Doch ein Sportler, der nicht bereits ein komplettes Rehabilitationsprogramm durchlaufen hat, sollte nicht beim Arzt vorsprechen. Wenn Athleten nur willig wären, sich angemessene Ruhe zu gönnen und dem Rat der Trainer bzw. Physiotherapeuten zu folgen, könnten viele Operationen vermieden werden. Ich selbst kenne mindestens drei Profisportler, die bereits einen Operationstermin hatten, sich dann aber für ein komplettes Rehabilitationsprogramm mit Übungen und Bindegewebsbehandlung entschieden haben und letztlich ohne OP davonkamen. Vor allem sollte eine Operation dann vermieden werden, wenn der Chirurg bereits im Vorhinein einräumt, dass nicht ganz klar ist, was genau wo weggeschnitten wird. In vielen Fällen bedeutet das nämlich, dass kleine Risse repariert und die Adduktoren entkrampft werden. In der Folge führt dies aber nur zur Entstehung neuen Narbengewebes. In Übereinstimmung mit vielen anderen Therapeuten meine ich, dass operative Eingriffe bei Leistenbrüchen nur wenig Erfolg zeigen und heute mehr und mehr aus der Mode geraten.
Rehabilitationskonzepte
Viele Rehabilitationskonzepte konzentrieren sich auf das Training der tiefen Bauchmuskulatur, um das Becken zu stabilisieren und damit die Bewegung im Becken zu vermindern. Dies ist zwar ein guter Anfang, doch wer sich nur auf die Entwicklung der Rumpfmuskulatur beschränkt, wird langfristig keinen Erfolg haben. Das Gewebe muss zusätzlich auf einwirkende Kräfte bei hohen Geschwindigkeiten vorbereitet werden. Wer eine schlechte Gewebequalität hat, sollte auch das Bindegewebe behandeln und darf sich nicht mit der Entwicklung von Rumpfstabilität zufrieden geben. Ein weiteres Problem ist die Debatte, ob im Training das Open-chain- oder das Closed-chain-Prinzip anzuwenden ist. Closed chain bedeutet, dass Hand oder Fuß Kontakt mit einem nicht überwindbaren Widerstand (z. B. dem Boden oder einer Wand) haben – bei Open-chain-Bewegungen hat das Extremitätenende keinen peripheren Kontakt und kann eine freie Bewegung durchführen. Viele Therapeuten sind der Meinung, dass
Unterkörpertraining grundsätzlich nach dem Closedchain-Prinzip absolviert werden sollte. Betrachtet man allerdings den Sprint oder das Skating, erfolgt hier auch eine Open-chain-Bewegung: Nach einer explosiven Abduktion und Streckung (Closed-chain-Bewegung) kommt es zu explosiver Beugung und Adduktion ohne Bodenkontakt (Open-chain-Bewegung).
Vielleicht haben wir uns in jüngster Zeit zu sehr auf Closed-chain-Bewegungen eingeschossen, ohne dabei auf Funktionalität zu achten. Viele Therapeuten setzen Closed-chain-Konzepte ein, um Open-chain-Probleme zu lösen. Das ist auch ein Grund, warum ich das Training am Slideboard für sinnvoll halte. Wir setzen das Slideboard regelmäßig ein und haben nur sehr selten Probleme mit Leistenbrüchen. Der große Vorteil des Trainings am Slideboard ist, dass Adduktoren und Hüftbeuger exzentrischen Closed-chain-Kräften ausgesetzt sind, wenn der Sportler über das Brett gleitet. Beim Umsetzen dann werden dieselben Muskeln eingesetzt, um die Erholungsphase einzuleiten und das Bein als Openchain-Bewegung zu beugen bzw. an den Körper heranzuziehen. Das Slideboard beansprucht die betroffenen Strukturen also in zweierlei Weise.
Das Hauptproblem beim Einsatz des Slideboards ist die Kontrolle der Belastungsintensität. Sie kann zu Anfang ausgeübt werden, indem die Gleitgeschwindigkeit reduziert und eine Adduktionsunterstützung angeboten wird. Dazu sagen wir dem Athleten, dass er sich vorstellen soll, mit einem Partner Hand in Hand auf einer öffentlichen Eisbahn zu laufen. Die Adduktoren können durch einen Lifeline Lateral Resistor entlastet werden. Dieses Gummiband, das an beiden Fußgelenken angebracht wird, zieht das freie Bein an den Körper heran und reduziert damit die Beanspruchung der Adduktoren.
Rehabilitation nach Leistenbrüchen
In der Rehabilitationsphase nach einem Leistenbruch ist es vor allem wichtig, die Geschwindigkeit der Übungsausführung im Training in kleinen Schritten zu erhöhen. Solange das Gewebe nicht in hohem Tempo gedehnt wird, fühlen sich die meisten Athleten gut, doch sobald die Geschwindigkeit zunimmt, verschlechtert sich ihr Zustand. Wenn im Übrigen die Reha nicht auch eine angemessene Bindegewebsbehandlung beinhaltet, ist der Heilungsprozess bereits zum Scheitern verurteilt. In den ersten zwei bis drei Wochen geht es nur um Wundheilung und Schmerztherapie. Danach untersuchen
Arzt, Physiotherapeut und medizinische Betreuer, ob die Heilung weit genug fortgeschritten ist, um mit der Reha zu beginnen. Die Fachleute legen dann die ersten Schritte fest. Die erste dreiwöchige Phase der Reha hat das Ziel, die Regeneration mit lockerem Training voranzutreiben, ohne dabei die Leistengegend bzw. den unteren Bauchraum zu belasten. Jegliche Übungen, die die Bauchmuskulatur beanspruchen wie Klimmzüge oder einbeinige kniedominante Übungen müssen in dieser Phase ausgelassen werden.
Phase 1: Woche 2 bis 4
Rumpf
Beim Rumpfkrafttraining werden Hüfte und Gluteus trainiert, ohne direkt die Bauch- bzw. Leistengegend zu beanspruchen. In der Reha belasten wir also nicht die akut betroffene Leiste, sondern kräftigen die umliegenden Bereiche. So versuchen wir mit jeweils einer Übungsform pro Bereich, Adduktoren und Bauchmuskulatur passiv zu stärken. Anfangs wird jede Übung zehn Sekunden lang isometrisch gehalten und dreimal wiederholt, danach kann der Umfang wöchentlich um zehn Sekunden erhöht werden. Nur bei den Roll-outs und dem Adduktorendrücken beginnen wir mit zwei Sätzen à zehn Wiederholungen pro Woche und steigern uns dann von Woche zu Woche um zwei Wiederholungen.
Wenn eine Übung Schmerzen bereitet (wie bereits erwähnt, gibt es hier nur ein klares Ja oder Nein), muss sie abgesetzt werden.
• Hüftheben nach Gray Cook – Halten der einbeinigen Brücke
• Hüftstreckung im Vierfüßlerstand
• Seitstütz mit kurzem Hebel
• Psoas halten in Rückenlage
• Adduktion in Rücken- oder Seitenlage – einen Airexoder Pilates-Ring zusammendrücken, wenn dies ohne Schmerzen möglich ist
• Roll-outs am Gymnastikball. Dies ist die einzige richtige Bauchmuskelübung. Diese darf nur absolviert werden, wenn keine Schmerzen auftreten. Wenn ein größerer Ball benutzt wird, ist die Übung leichter.
Unterkörperkraftentwicklung
Auch hier werden Übungen mit geringer Beanspruchung gewählt. Beginne mit drei Sätzen à zehn Wiederholungen, danach steigere dich jede Woche oder auch pro Trainingstag um zwei Wiederholungen.
• Kniebeugen mit dem eigenen Körpergewicht, evtl. mit einer Gewichtsweste, später mit Hantelstange
• Einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein und Vorstrecken der Arme
• Im Aufwärmprogramm kann auch das Miniband eingesetzt werden, um die Abduktionsbewegung zu trainieren.
Phase 2: Woche 5 bis 7
In der zweiten Phase führt der Sportler die bereits vorgestellten Übungen weiter fort und absolviert zusätzlich die Kniebeuge in leichter Schrittstellung, falls dies ohne Schmerzen möglich ist. Um vordere Hüfte und Rumpf nicht zu sehr zu belasten, wird die Kniebeuge in einer Position über 90/90 ausgeführt. Wir wollen den Sportler mit der zunächst nur leichten Schrittstellung langsam an den Ausfallschritt heranführen. Auch bei dieser Übung beginnt man mit dem eigenen Körpergewicht, setzt dann eine Gewichtsweste und schließlich eine Langhantelstange ein. Bis zu diesem Punkt haben wir nur in der Sagittalebene gearbeitet. Der Physiotherapeut John Pallof hat ein sehr gutes Steigerungskonzept: Er beginnt mit dem Training der Kniebeugen in der Sagittalebene, geht dann mit seitlichen Kniebeugen in die Frontalebene und schließlich zur Transversalebene über. Wir haben dieses Konzept leicht abgewandelt, um zuerst die Mobilität und dann die Kraft zu trainieren.
In der zweiten Woche führen wir die seitliche Kniebeuge ein – eine Übung in der Frontalebene mit geringer Geschwindigkeit. Viele mögen seitliches Kniebeugen nur als Mobilisierung oder Stretching ansehen, doch wenn erst einmal Zusatzgewicht eingesetzt wird, ist es eine Kraftübung. Diese Übungsform muss unbedingt trainiert werden, bevor der seitliche Ausfallschritt eingesetzt wird, um den Sportler adäquat auf die höhere Belastung und Geschwindigkeit vorzubereiten. Die letzte Vorbereitungsstufe für die Ausfallschritte folgt in der dritten Woche mit dem Einsatz der Rotationskniebeuge.
Das hüftdominante Training wird gesteigert, indem man einbeiniges Kreuzheben mit Zusatzgewicht trainiert oder Beincurls mit Slideboard und Gymnastikball in den Trainingsplan aufnimmt. Durch den Einsatz des Slideboards beim Beincurl wird die Brückenbewegung zu einer konzentrischen und exzentrischen Übung für die hintere Oberschenkelmuskulatur – und ist damit eine exzellente Weiterführung unseres Rumpfprogramms. Außerdem führen wir in dieser zweiten Phase unseres auf Geschwindigkeit ausgerichteten Plans leichtes Training an der Koordinationsleiter (auf dem Boden liegende Sprossenleiter, die zur Verbesserung der Koordination und Mobilität eingesetzt wird) ein und beginnen mit niedrig intensiven geraden Sprüngen auf einen 30 bis 45 cm hohen Kasten, sofern der Sportler diese ohne Schmerzen ausführen kann. Rumpf- und Krafttraining werden weitergeführt mit dem Ziel, langsam zu alter Stärke zurückzufinden.
Unterkörperkraft
Für den Unterkörper absolvieren wir nun einbeinige kniedominante Übungen. Rumpfkraft wird in dieser Phase der Reha mit sechs Sätzen à zehn Sekunden trainiert, und auch das Miniband wird weiterhin im Aufwärmprogramm eingesetzt.
Woche 5
• Kniebeuge in leichter Schrittstellung: 3 × 10 Wiederholungen pro Bein
• Frontkniebeuge: 3 × 10 Wiederholungen, nach der Kniebeuge in Schrittstellung auszuführen – in der Rehabilitation weichen wir hier von unseren Gepflogenheiten ab
• Einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein unter Einsatz einer Kurzhantel bzw. Kettlebell
• Beincurl am Slideboard
Woche 6
• Seitliche Kniebeuge: 2 × 10 Wiederholungen pro Seite
Woche 7
• Rotationskniebeuge: 2 × 10 Wiederholungen pro Seite. Beginnen Sie mit drei Sätzen à zehn Wiederholungen, und erhöhen Sie dann um zwei Wiederholungen pro Woche bzw. Trainingstag.
Phase 3: Woche 8 bis 10
In dieser Phase wird die Geschwindigkeit erhöht und von exzentrischer zu konzentrischer Bewegung umgeschaltet. In den ersten beiden Phasen sind die kniedominanten Übungen als statisch unterstützt zu bezeichnen, denn das Becken wird durch das gegengleiche Bein, das Kontakt mit dem Boden oder einer Bank hat, stabilisiert, und so bewegt sich der Körper nicht mit. Der Ausfallschritt dagegen ist eine dynamische Übung: Der Körper ist in ständiger Bewegung. Bei dynamischen Übungen müssen aufgrund von Schwerkraft und Körpergewicht die Bewegungen aktiv abgebremst werden. Außerdem führen wir in der dritten Phase mit der einbeinigen Kniebeuge eine statische, nicht unterstützte Übung ein. Das Becken bekommt hierbei keinen Halt von einem mit dem Untergrund verbundenen Fuß.
Auch die plyometrischen Übungen werden weiter gesteigert. Jetzt springt der Sportler einbeinig und beidbeinig auf einen Kasten, absolviert laterale und mediale Hopser (rechts auf rechts oder links auf links) sowie Sprünge zur Seite (rechts auf links). Die Übungsformen an der Koordinationsleiter führen wir zu diesem Zeitpunkt mit höherer Intensität aus, beginnen am Slideboard mit dem Lateral Resistor zu arbeiten, setzen den Schlitten ein und absolvieren Crossovers. Außerdem fangen wir nun mit dem Schnelligkeitstraining an. Die erste Übungsform, die wir hier einsetzen, ist Lean-Fall-Run: Der Athlet steht aufrecht, lehnt sich dann wie ein Brett nach vorne und setzt kurz vor dem Überkippen zu einem 10-Meter-Sprint an. In der Reha sollte aber vorsichtig mit nur drei schnellen Schritten begonnen werden. Ein Satz mit fünf Sprints ist am Anfang ausreichend.
Unterkörperkraft
• Ausfallschritte und einbeinige Kniebeugen
• Rumpfkraft: sechs Sätze à zehn Sekunden
• Kniebeuge im Ausfallschritt, seitliche Kniebeuge und Rotationskniebeuge: je Übung und Seite einmal zehn Wiederholungen im Aufwärmprogramm
Tag 1
• Einbeinige Kniebeuge: 3 × 10 Wiederholungen pro Seite mit zunächst nur 2,5 kg schweren Kurzhanteln
• Frontkniebeuge: 3 × 10 Wiederholungen
• Einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein – mit Kurzhantel oder Kettlebell, wobei das Gewicht pro Woche um 2,5 bis 5 kg gesteigert werden kann
• Beincurl am Slideboard mit Zusatzgewicht
Tag 2
• Ausfallschritt vorwärts anstelle der einbeinigen Kniebeuge
Phase 4: Woche 11 bis Ende
In dieser Phase wird der an Ort und Stelle ausgeführte Kniebeuge-Zirkel durch einen dynamischen Ausfallschritt-Zirkel ersetzt. Auch dies ist ein multiplanares Aufwärmprogramm unter Einsatz des eigenen Körpergewichts. Jetzt sollte der verletzte Sportler in der Lage sein, mit seinen Teamkameraden normal zu trainieren, er wird aber noch regelmäßig kontrolliert. Plyometrische Übungen und Schnelligkeitstraining werden weiter intensiviert. Diese wurden aber erst in der dritten Phase eingeführt, sodass der Sportler in diesen Bereichen noch Nachholbedarf hat. Man weiß noch lange nicht alles über Leistenbrüche im Sport. Hoffentlich hat dieser Artikel dir geholfen, ausreichendes Grundwissen zur Prävention und Behandlung von Leistenbrüchen zu erhalten.
Euer Michael Boyle
Michael Boyle ist Autor der Bücher
Functional Training Fortschritte im Functional Training