Das Zwerchfell ist neben unserem Herz der wohl bedeutendste Muskel im menschlichen Körper. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, rund 20000 Mal pro Tag die Lungen mit wertvoller sauerstoffreicher Luft zu füllen und damit die Organe und den Bewegungsapparat mit Energie zu versorgen. Es beeinflusst die Stabilität im Rumpf, unsere Herzfrequenz und unsere Emotionen. Die anatomischen und physiologischen Zusammenhänge des Zwerchfells (Diaphragma) sind äußerst interessant, denn dieser scheinbar völlig eigenständig arbeitende Muskel kann sich durch gezieltes Training anpassen und hat damit positive Auswirkungen auf den Körper und den Geist: Zum einen können die Rumpfstabilität und die Organfunktionen optimiert werden und zum anderen kann sich die emotionale Stimmung verbessern. Doch wie geht das?
Die Ein- und Ausatmung
Bei guten Atemmustern, also einer Atmung, die durch die physiologisch richtigen Strukturen zur richtigen Zeit erfolgt, sollte das Zwerchfell, das optisch an die Form eines Fallschirms erinnert, bei jeder Einatmung kontrahieren und sich somit nach unten bewegen. Dadurch wird der Bereich unter dem Zwerchfell, also unsere Bauchorgane, mechanisch stimuliert. Dies verbessert die Funktionen dieser Organe, denn die Stimulation wirkt anregend und ist eine natürliche Art der Organbewegung, die unser Organismus benötigt.
Gleichzeitig geschehen bei der korrekten Einatmung zwei Dinge auf mechanischer Ebene:
- Durch das Herabsenken des Zwerchfells und die Ausdehnung des Bauchraums in alle Richtungen wird die Beckenbodenmuskulatur nach unten bewegt und somit exzentrisch belastet, um dann während der Ausatmung reflexiv zu kontrahieren.
- Durch die Abwärtsbewegung des Zwerchfells wird ein Unterdruck in den Lungen erzeugt, der die Ausbreitung des Rippenkäfigs ermöglicht. Das wird durch die Atemhilfsmuskulatur, wie die Zwischenrippenmuskeln (Intercostalmuskulatur), unterstützt. Somit erreichen wir bei maximaler Einatmung vollständig gefüllte untere (durch die Arbeit des Zwerchfells) und obere (durch dreidimensionale Ausdehnung des Rippenkäfigs) Lungenflügel. In Belastungssituationen ist das leistungsfördernd, denn der Gasaustausch wird optimiert.
Zwerchfell, Herz und Gehirn
Bei genauerer Betrachtung der anatomischen Ansatzpunkte des Zwerchfells gibt es außerdem eine erstaunliche Erkenntnis: Das Zwerchfell teilt sich die Zentralsehne (Centrum tendineum) mit unserem Herz! Das heißt: Der primär wichtigste Muskel, das Herz, ist mit dem – wenn man so möchte – zweitwichtigsten Muskel über eine gemeinsame Sehne verbunden! Dies hat tatsächlich reale Auswirkungen: Bei jeder korrekten Ein- und Ausatmung bei guter Zwerchfellfunktion wird unser Herz physiologisch positiv beeinflusst.
Bei der Einatmung herrscht größerer mechanischer Druck auf das Herz und der sympathische Teil des Nervensystems wird durch das Zwerchfell im Zusammenspiel mit dem Gehirn aktiviert. Die Folge: Die Herzfrequenz steigt. Beim Ausatmen sollte die Herzfrequenz durch vermehrt parasympathische Aktivität sinken. Wir können das sogar mit einer simplen Methode messen. Bei einer gestörten Zwerchfellfunktion ist dieser Zusammenhang ebenfalls gestört, die Herzfrequenz wird sich nicht bedeutsam ändern. Dies ist der erste Anlass dafür, an der Atmung zu arbeiten.
Das Zwerchfell und die Rumpfmuskulatur
Eine weitere Funktion des Zwerchfells ist es, zusammen mit den tiefenstabilisierenden Muskeln des Rumpfes intraabdominellen Druck zu erzeugen, um die Organe und Wirbelsäule während den Bewegungen zu stabilisieren. Das sogenannte intrinsische Stabilisationssystem (intrinsic stabilization system) beschreibt die wichtigsten Muskeln für diese Funktion, die alle an der Faszia thoracolumbalis ansetzen und somit die Kraftübertragung zwischen Unter- und Oberkörper entscheidend mitbeeinflussen. Zu den Muskeln gehören: M. transversus abdominis, Mm. multifidii, die Beckenbodenmuskulatur und das Zwerchfell.
Wenn die neuromuskuläre Ansteuerung einer der Muskeln gestört ist, wird oftmals das Zwerchfell neuronal hochreguliert und entwickelt einen hohen Tonus. Das Gleiche gilt umgekehrt: Eine ungenügende Benutzung des Zwerchfells bei der Atmung oder ein übermäßiges Luftanhalten selbst beim Heben leichter Gewichte führt zu einer Überaktivierung des Zwerchfells und zu einer Unteraktivierung der tiefenstabilisierenden Muskeln. Diese Fehler in der Bewegungssteuerung verfestigen sich im Gehirn und müssen gezielt getestet und korrigiert werden, um auch die muskulären Tonusmuster zu ändern.
Intrinsische Bauchmuskulatur aktivieren
Durch eine fokussierte und besonders tiefe Ausatmung wird besonders die tiefe Bauchmuskulatur (M. transversus abdominis) trainiert und auch die für die Ausatmung sehr wichtige schräge Bauchmuskulatur (Mm. obliquus abdominis). Der Vorteil einer tiefen Bauchatmung mit fokussierter Ausatmung ist auch folgender: Die tiefe Einatmung in den Bauch ist gleichzeitig auch ein Zwerchfell-Release, die forcierte Ausatmung ist eine Aktivierung der tiefen Bauchmuskulatur. Das reguliert das Tonusmuster insofern, als dass das Zwerchfell neuronal herunterreguliert wird, während die Stabilisationsfähigkeit der tiefen Bauchmuskulatur verbessert wird.
So geht’s:
- Beginne in Rückenlage.
- Starte mit tiefer Einatmung in den Bauch in alle drei Richtungen
- Versuche, besonders lang auszuatmen, ohne den Bauch bewusst anzuspannen.
- Konzentriere dich nur auf das Ausatmen, nicht auf Anspannung jeder Art.
- Du solltest während der gesamten Ausatmung keine Spannung in deinen Bauchmuskeln fühlen können. Mach den Selbsttest, indem du während der Ausatmung mit deinen Händen draufdrückst.
- Wiederholungen: 8–10
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