Zwischen den Spitzenathleten von früher und von heute besteht ein großer Unterschied. Die Regeln und Ziele dürften in den meisten Sportarten weitgehend gleich geblieben sein, aber die Maßnahmen, um es in einer Sportart bis an die Weltspitze zu bringen, haben sich drastisch verändert. Man musste schon immer Opfer bringen, um die Nummer eins zu werden, aber der wachsende Stellenwert von Sport und das damit verbundene öffentliche Interesse bedeuten zugleich, dass der Beruf des Profisportlers heutzutage eine Aufmerksamkeit und Hingabe erfordert, die alle anderen Lebensbereiche in den Schatten stellt.
Aber kein Athlet ist eine Insel. Zwar kann man auch als Einzelperson eine olympische Goldmedaille gewinnen, in Wirklichkeit aber ist ein solcher Erfolg das Ergebnis der Arbeit eines ganzen Teams, das dieses Individuum in einem aufwendigen Prozess auf seinen Weg gebracht hat. Bei den Olympischen Spielen in London 2012 prangte der Sinnspruch »Niemand von uns ist so gut wie wir alle« an der Wand des Speisesaals – eine prägnante Erinnerung an die Teamarbeit, die hinter den Kulissen erforderlich ist, wenn man es in seiner Sportart zu höchsten Ehren bringen will.
In Sachen strategisches Denken, Prozessmanagement, Kontingenzplanung sowie der Optimierung von Teamstrukturen war über Jahrzehnte hinweg ausschließlich die Geschäftswelt tonangebend. Inzwischen hat aber dieses objektive, systematische Vorgehen in allen Branchen und Tätigkeitsfeldern Fuß gefasst und neue Maßstäbe gesetzt. Und so existiert nun auch in der Welt des Sports ein Bewusstsein für die Lehren, die man aus dem Geschäftsleben ziehen kann.
Sportlicher Erfolg erfordert langfristige Planung, Motivation und stabile Rahmenbedingungen, und zwar auf allen Ebenen, vom Vereinspräsidenten bis zum Masseur; alle sollten ihren Teil dazu beitragen, die Leistung der Sportler zu verbessern. Hochleistungssport ist also kein Ziel, das von ehrgeizigen Amateuren im Handumdrehen erreicht werden kann. Es ist vielmehr ein Ziel, das einer langfristigen und gewissenhaften Planung bedarf.
Die heutigen Spitzenathleten wurden alle seit ihrer Jugend, in manchen Fällen sogar seit frühester Kindheit, gefördert. Nach einer sorgfältigen Talentsichtung und Auswahl – unter Berücksichtigung der genetischen Veranlagung und persönlichen Neigung – wurden sie systematisch aufgebaut und progressiv Trainings- und Wettkampfbedingungen ausgesetzt, die alle darauf abzielten, einen erwachsenen Spitzensportler hervorzubringen.
In den letzten zehn Jahren hat sich in der Konditionierung junger, aufstrebender Sportler viel getan. Sich ständig weiterentwickelnde Technologien und zahlreiche neue Erkenntnisse aus der Forschung haben zur Folge, dass das Wissen, welches vor zehn Jahren noch als innovativ galt, mittlerweile veraltet ist. Der heutige Hochleistungssport wäre für einen Betrachter des frühen 20. Jahrhunderts praktisch nicht wiedererkennbar.
Determinanten für den sportlichen Erfolg
Um überhaupt ein Spitzenathlet werden zu können, benötigt es eine Mischung aus technischen und taktischen Fähigkeiten, bestimmten körperlichen Voraussetzungen und einer enormen mentalen und emotionalen Stärke. Diesen Komponenten wird kulturspezifisch unterschiedliche Bedeutung beigemessen. In Asien zum Beispiel
beruht der sportliche Erfolg oft auf einer makellosen Technik und dem Aufbau einer enormen mentalen Resilienz. Im westlichen Kulturkreis hingegen steht die körperliche Überlegenheit oft (aber nicht immer) stärker im Vordergrund. Selbstverständlich schließen sich diese Ansätze nicht gegenseitig aus, lassen aber eine unterschiedliche Gewichtung erkennen.
Wir vertreten die Auffassung, dass das Idealmodell eine Kombination beider Kulturkreise ist, das heißt, den Aufbau von körperlichen, technischen und taktischen Fähigkeiten mit der kontinuierlichen Entwicklung psychologischer Stärke verbindet. Entwickelt werden diese Aspekte in einer Organisationskultur, die im Streben nach Höchstleistung keine Kompromisse macht.
Ziele im Performance Training
Jeder Sport erfordert die sorgfältige, präzise Ausführung bestimmter Fertigkeiten. Selbst Sportarten, die größtenteils auf körperlicher Ausdauer beruhen, wie etwa Sechs-Tage-Rennen, fordern dem Athleten ein enormes technisches Können ab, weil sonst Energielecks entstehen, durch die Kraft entweicht.
Performance Training verfolgt zwei Ziele:
- Die nötigen physiologischen Reserven zu entwickeln, um eine Sportart auf einem höheren Niveau und ohne Leistungsabfall über eine längere Dauer betreiben zu können als die Konkurrenz. Kurzum: Athleten streben danach, ihre Gegner möglichst oft in eine rote Zone zu bringen, um sie auf diese Weise zu überfordern und zu Fehlern zu zwingen. Diese rote Zone kann wie beim Tischtennis oder Fechten mehr auf die Reaktionsschnelligkeit abzielen oder wie beim Golf die mentale Stärke auf die Probe stellen; sie kann wie beim Radfahren den Athleten an seine konditionellen Grenzen bringen, oder es handelt sich um eine Kombination aus allen diesen Bereichen. Man könnte sogar sagen, der Erfolg hängt in den meisten Sportarten davon ab, in allen diesen Bereichen seine Dominanz in der roten Zone zu behaupten.
- Robust genug zu sein, um das technische und taktische Training zu überstehen, ohne sich dabei eine Verletzung zuzuziehen.
Entwicklung von Athletik zur Unterstützung technischer Fähigkeiten
Das Ziel von Athletiktraining sollte es sein, das Individuum in die Lage zu versetzen, Trainingsbelastungen auszuhalten und dadurch seine Toleranz gegenüber technischem und taktischem Coaching zu maximieren. Das ist in einer Sportart wie dem Turmspringen offensichtlich, kann aber auch auf Disziplinen wie Schwimmen und Rudern übertragen werden, in denen der Unterschied zwischen dem ersten und dem vierten Platz weniger auf die körperliche Fitness zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf technisches Können und mentale Resilienz. Es ist aber auch klar, dass Athleten ohne diese körperliche Grundlage kaum dazu in der Lage wären, Tausende von Trainingsstunden auszuhalten.
Den Wald sehen statt nur die Bäume
Angesichts der hohen öffentlichen Anerkennung sowie der Verdienstmöglichkeiten im Spitzensport ist es verständlich, dass inzwischen jeder Bereich, der theoretisch zur sportlichen Leistungsfähigkeit beitragen kann, auf sein Potenzial abgeklopft wurde. Deshalb reicht es schon lange nicht mehr, einen einzelnen Bereich zu verbessern und zu hoffen, dass sich diese Verbesserung auch auf alle anderen Bereiche auswirkt.
Betrachten wir zum Beispiel Crossläufe. Man könnte leicht annehmen, dass sich die Athleten durch eine unterschiedliche aerobe Kapazität auszeichnen. Und wenn wir einen Weltklasseläufer mit einem Freizeitläufer vergleichen, stellen wir tatsächlich fest, dass ihre aerobe Fitness deutlich voneinander abweicht. Der Unterschied zwischen dem ersten und dem achten Platz bei den Weltmeisterschaften wird jedoch vermutlich nicht auf die Größe des aeroben »Motors« zurückzuführen sein. Die Ursache liegt viel wahrscheinlicher in der größeren Kraft, der Bewegungseffizienz oder der taktischen Geschicklichkeit. Wir sehen also, dass wir viele Aspekte berücksichtigen müssen, wenn wir wirklich eine Leistungsverbesserung erzielen wollen. Das ist besonders in Teamsportarten wichtig, in denen eine größere Anzahl an Komponenten das Ergebnis bestimmt. Finanziell gut aufgestellte Organisationen verfügen vielleicht über die Mittel, Experten für alle Leistungsbereiche zu engagieren, aber in der Realität steht den meisten Coaches ein solcher Personalstab nicht zur Verfügung. Es ist deshalb erforderlich, dass die Verantwortlichen ein Verständnis dafür entwickeln, dass sportlicher Erfolg nur durch viele verschiedene am Prozess beteiligte Mitwirkende erreicht werden kann.
Hochleistungsprogramm
Die Qualität des Umfelds eines Athleten oder eines Teams wird natürlich in starkem Maße von den verfügbaren finanziellen Ressourcen bestimmt. Unabhängig davon ist es aber für jede Organisation sehr wichtig zu wissen, wie ein solches »gutes Umfeld« gestaltet sein muss; und das bezieht sich sowohl auf die vorhandene Trainingseinrichtung als auch auf die Ausrüstung und das Personal.
In vielen Fällen müssen wir feststellen, dass sich Teams und Trainer hauptsächlich auf das Programm konzentrieren. Damit meinen wir, dass das Training zwar durchgeplant, aber starr ist. Der Athlet wird somit gewissermaßen in das Programm gezwängt; es gibt nur wenig Individualisierung. Dieser Ansatz ist insofern attraktiv, als er nicht besonders arbeitsaufwendig ist und jahrein, jahraus wiederholt werden kann. Der dahinterstehende Grundgedanke ist jedoch fehlerhaft, weil er einerseits davon ausgeht, dass alle Athleten dieselben Bedürfnisse haben, und andererseits annimmt, dass der Zustand der Athleten über einen längeren Zeitraum hinweg gleich bleibt.
Das ist natürlich nicht der Fall – Athleten sind keine Klone, und ihre Reaktionen auf Trainingseinheiten und Wettkämpfe unterscheiden sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, Monat zu Monat und Saison zu Saison. Und dabei haben wir die anderen Stressfaktoren – Einkommen, Privatleben, Ausbildung –, die ihrerseits zusätzlich auf die Athleten einwirken, noch gar nicht berücksichtigt. Stellt man also das Programm in den Vordergrund, ignoriert man unweigerlich diese Variablen, und das hat wiederum zur Folge, dass es mehr oder weniger dem Zufall überlassen bleibt, ob unser Programm optimal auf jeden Athleten in seiner aktuellen Verfassung abgestimmt ist.
Maßgeschneiderte Programme
Das Idealmodell zeichnet sich also dadurch aus, dass der Athlet im Mittelpunkt steht und ein speziell auf ihn abgestimmtes, seinen individuellen Bedürfnissen entsprechendes Programm erhält. Betrachten wir zum Beispiel ein Basketballteam. Innerhalb des Teams wird es vermutlich große Unterschiede hinsichtlich der athletischen Fähigkeiten, der Trainings- und Verletzungsgeschichte sowie der persönlichen Schwächen und Asymmetrien geben, um nur einige Variablen zu nennen. Der Ansatz, der den Athleten in den Mittelpunkt stellt, trägt den Bedürfnissen jedes einzelnen Spielers Rechnung und legt ein Programm vor, das optimal geeignet ist, ihn auf seine Aufgabenvorzubereiten.
Das ist besonders wichtig, wenn innerhalb eines Teams oder einer Gruppe Alter und Trainingsprofile nicht homogen sind. Ältere Athleten brauchen während der Saison womöglich nicht dieselbe körperliche Belastung wie ihre jüngeren Kollegen. Genauso ist es töricht, einem neuen Spieler, der es soeben erst in die erste Mannschaft geschafft hat, dieselbe Trainingsbelastung zuzumuten wie einem erfahrenen Spieler, dessen Körper sich über Jahre hinweg an den harten Trainingsalltag gewöhnen konnte. Wer also einem einheitlichen Trainingsprogramm Priorität vor den Sportlern einräumt, verpasst die Chance, jeden einzelnen Athleten zu seiner persönlichen Maximalleistung zu führen.
Einen solchen maßgeschneiderten Ansatz muss man einem eingespielten Team allerdings oft erst erklären, vor allem jenen Athleten, die es gewohnt sind, dass sich alle Mitglieder stets demselben Training unterziehen. Manche Spieler in Teamsportarten halten nicht viel davon, sich freizunehmen, während die anderen Mitglieder der Mannschaft trainieren, weil sie das Gefühl haben, ihre Kollegen dadurch im Stich zu lassen. Umgekehrt kann in der Gruppe auch Neid aufkommen, wenn der Eindruck entsteht, dass ein Spieler eine Sonderbehandlung erfährt.
Dies lässt sich vermeiden, wenn man der gesamten Gruppe das Konzept des athletenzentrierten Programms vorab gründlich erklärt, damit sie versteht, warum bei diesem Ansatz nicht alle Akteure gleichzeitig dasselbe tun. Manche erholen sich, während andere hart arbeiten. Das hat nichts mit Schikane zu tun; es ist nur so, dass maßgeschneidertes Training die beste Art ist, die Gruppe optimal auf ein Spiel vorzubereiten.
Dieser Ansatz ist arbeitsintensiv, weil die Athletiktrainer für jeden Spieler ein individuelles Programm ausarbeiten müssen. Doch ist er nicht so aufwendig, wie er zunächst scheint, denn es gibt immer Überschneidungspunkte. Infolgedessen besteht die individuelle Anpassung aus Modifikationen desselben Grundthemas mit individuellen Ergänzungen, die in jedes Programm eingearbeitet werden, um eventuellen Verletzungsrisiken oder leistungshemmenden Faktoren zu begegnen.
Euer David Joyce