„Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung“ – Leonardo da Vinci
Im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit Tausenden von Coaches weltweit habe ich festgestellt, dass die Besten der Devise „weniger ist mehr“ zu folgen scheinen. Weniger Erklärungen. Weniger Zubehör. Weniger Übungen.
In der Praxis geht nichts über Einfachheit. Vor allem bei der Betreuung von Athleten und der Vermittlung von Lerninhalten. Wenn der Plan leicht verständlich ist und nicht so viele Variable enthält, gibt es weniger Fehlerquellen. Die Dinge auf einen möglichst einfachen Nenner zu bringen und sich auf profane Details zu konzentrieren, ist zwar vergleichsweise unspektakulär, auf dem Spielfeld oder im Klassenzimmer aber ein Erfolgsgarant.
Vor allem Nick Winkelman hat sich in diesem Bereich hervorgetan und aufgezeigt, wie wichtig einfache äußere Hinweisreize sind. Er hat uns deutlich vor Augen geführt, dass „das, was wir sagen, eine Rolle spielt“.
Ich würde diese Aussage ergänzen und behaupten, dass „die Art und Weise, wie wir das Training gestalten, eine Rolle spielt“. Damit meine ich die Bedingungen, die wir unseren Athleten bieten. Ich bin ein großer Befürworter kinästhetischer Hinweisreize, die den Athleten förmlich dazu zwingen, eine Aufgabe auf ganz bestimmte Weise zu bewältigen.
Kinästhetische Hinweisreize führen dazu, dass eine Übung „selbstlimitierend“ wird, das heißt sie erfordern Achtsamkeit und die aktive Auseinandersetzung mit der betreffenden Aufgabe. Du schaffst sie oder du schaffst sie nicht, aber du kannst sie nicht unreflektiert abspulen.
Zur näheren Erläuterung möchte ich an dieser Stelle Gray Cook zitieren:
„Selbstlimitierende Übungen setzen Achtsamkeit, Bewegungsbewusstsein, Körperausrichtung, Gleichgewicht und Kontrolle voraus. Man kann nicht einfach seine Ohrhörer einstöpseln und aufs Laufband steigen, seine Playlist auswählen oder sich von den Nachrichten auf dem Fernseher berieseln lassen. Selbstlimitierende Übungen erfordern aktive Mitarbeit.“
Das prägnanteste Beispiel einer selbstlimitierenden Übung ist das Barfußlaufen. Dabei nahmen unsere Vorfahren über ihre Fußsohlen wichtige sensorische Informationen auf.“
Hast du es satt, deinen Athleten zu ermahnen, sich bei Kniebeugen oder Liegestützen ganz abzusenken? Wie oft hat er die Körperhaltung nicht verstanden, die du ihm wortreich beschrieben hast, als er gerade einen Deadlift machen wollte oder an der Rudermaschine saß? Coaches verschwenden ihren Atem, wenn sie von ihren Sportlern Dinge verlangen, die ihnen unverständlich sind. Wenn du hingegen von Anfang an die richtigen Bedingungen schaffst, ersparst du allen Beteiligten eine Menge Frust und Verwirrung.
Einfache Hilfsmittel und ein wenig Nachdenken können einem verwirrten Athleten enorm weiterhelfen
Statt ihm einen völlig aus dem Kontext gerissenen Sachverhalt erklären zu wollen, sollten wir ihm kinästhetische Hinweisreize geben, mit denen er das nötige taktile Feedback erhält. Die folgenden Techniken sind extrem einfach und keineswegs neu. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Coaches sie nicht benutzen, weil sie zu faul oder in Eile sind. Wenn du diese oder ähnliche Hinweisreize verwendest, hast du aber ironischerweise weniger Arbeit, und wenn ich coache, versuche ich, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu erreichen.
Stab auf dem Rücken: Ausrichtung der Wirbelsäule
In unserer Einrichtung ist es üblich, einen Stab zu benutzen, wenn wir eine Bewegung coachen, bei der wir eine statische Wirbelsäulenausrichtung sehen wollen. Obwohl eine „neutrale“ Position manchmal wünschenswert ist, stehen wir als Coaches oft vor der Aufgabe, Athleten zu helfen, diese Position einzunehmen. In Bauchlage, im Vierfüßlerstand oder beim Hip Hinge kann ein PVC-Rohr auch sehr wirkungsvoll sein, um die Ausrichtung von Kopf, Brustwirbelsäule und Kreuzbein aufrechtzuerhalten.
Marker für Tiefe: Kniebeuge, einbeiniger Deadlift und Liegestütz
„Gemogelte Wiederholungen“ nehmen beinahe schon epidemische Ausmaße an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass keine Sekunde vergeht, in der nicht irgendjemand gerade eine halbe Kniebeuge oder einen halben Liegestütz macht in der Hoffnung, auf diese Weise seine Wiederholungszahl in die Höhe zu schrauben. Ich bin es leid, meine Sportler gebetsmühlenartig dazu aufzufordern, sich tiefer abzusenken, und deshalb benutze ich Hilfsmittel, die diese Arbeit für mich erledigen. Setze ein Ziel, das jedes Mal erreicht werden muss. Ausnahmslos jedes Mal.
Balancieren von Kegeln und Rollen: die kontrollierte Bewegung der Hüften beim Krabbeln
Ich las vor einer Weile auf Facebook Jim Ferris’ Bemerkung, dass „Der Bear Crawl der neue Box Jump“ ist, weil es auf YouTube mittlerweile eine beachtliche Menge schlechter Videos dieser Übung gibt. Er hat Recht, und dieser Tendenz möchte ich entgegenwirken. Beim Bear Crawl geht es um die Kontrolle der Wirbelsäule und des Beckens. Wenn du die Übung zum ersten Mal erklärst, solltest du deinem Athleten einen Gegenstand auf den Rücken legen – du musst nicht einmal etwas sagen. In dem folgenden Video benutze ich einen kleinen Kegel, auf den ich einen Tennisball setze, aber ich habe auch schon Wasserflaschen, Hartschaumrollen und Airex-Matten verwendet.
Einschränkung des Bewegungsumfangs: Rollout und Bodysaws
Wenn man Anfängern Anti-Extensions-Übungen zur Verbesserung der Stabilität zeigt, fehlt es Ihnen oft an exzentrischer Kontrolle. Das ist oft der Grund dafür, warum die Übung überhaupt im Programm ist. Ich habe festgestellt, dass bei Anti-Extensions-Übungen wie Rollouts und Bodysaws der Athlet oft den Fehler macht, den Bewegungsumfang zu überschreiten, in dem er kontrolliert agieren kann. Diese Athleten haben normalerweise eine schlechte Propriozeption und schaffen es einfach nicht, auf die Bremse zu treten. Dieses Problem lässt sich leicht beheben, indem wir ihre Vorwärtsbewegung mit einem Objekt wie einer Trainingsbank oder einer Wand hemmen. So wird ihre Abweichung auch quantifizierbar, so dass wir ihren Fortschritt verfolgen können, indem wir einfach ihren Abstand zum Objekt vergrößern.
Das Knie blockieren: Kontrolle der Vorwärtsbewegung des Knies
Beenden wir die Diskussion bevor sie überhaupt erst losgeht. Bei Ausfallschritten und Kniebeugen darf das Knie vor das Fußgelenk kommen. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass das wünschenswert ist. Bei jedem Schritt, den wir machen, ist der Schienbeinwinkel positiv. Unkontrollierte anteriore Scherkräfte sind für das Knie allerdings nicht wünschenswert. Athleten mit schwachen Hüften verlassen sich bei Ausfallschritten und Kniebeugen gerne auf eine knielastige Strategie. Statt sie immer wieder dazu aufzufordern, sich „reinzusetzen“, blockiere ich mit einer Trainingsbank ihre Vorwärtsbewegung. Das ist eine Technik, die ich während meines Praktikums bei MBSC gelernt habe, und sie zählt mit Sicherheit zu Mike Boyles Lieblingsstrategien.
Den Tennisball festhalten: Hinweisreiz für die Hüftflexion
Ich glaube, dass ich diese Übung ursprünglich auch bei MBSC aufgegriffen habe. Beim einbeinigen Beckenheben empfiehlt sich ein Hinweisreiz, der eine reziproke Hüftaktivität erforderlich macht und den Athleten dazu bringt, die gegenüberliegende Hüfte aktiv zu beugen. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer lumbalen Extension, während die Möglichkeit für eine Aktivierung des Psoas zunimmt – die die meisten Menschen gut gebrauchen könnten. Statt deinem Athleten den Hinweisreiz zu geben, das Knie zu heben, solltest du ihm einen Tennisball in die Leiste klemmen, der während der Übung nicht herunterfallen darf.
Übung mit Minihürden: Coaching der Sprintmechanik für die Körpervorderseite
Die „Minihürden-Übung“ ist eine klassische Übung aus der Leichtathletik, die der Verbesserung der Sprintmechanik auf der Körpervorderseite dient. In der Phase der maximalen Geschwindigkeit machen viele Athleten oft zu große Schritte, wodurch sie sich unbewusst abbremsen. Die Verwendung von Hürden zwingt den Athleten dazu, das Knie höher zu heben und den Fuß nicht vor, sondern direkt unter den Masseschwerpunkt zu setzen. Der Athlet sprintet über kleine Hürden, die abhängig von seiner Körpergröße, Schnelligkeit und seinem technischen Niveau in einem Abstand von 1,5 bis 2 Meter aufgestellt sind. Statt den Athleten permanent zu ermahnen, die Knie zu heben, ist es wesentlich effektiver, eine selbstlimitierende Übung wie Sprints mit Minihürden zu verwenden.
Alle diese Hinweisreize beheben kleine Fehler der Unachtsamkeit. Dies führt zu einem tieferen Liegestütz, einer besseren Wirbelsäulenposition beim Deadlift oder einem besseren Kniehub beim Sprint. Keiner dieser Hinweisreize ist weltbewegend, aber zusammengenommen können diese kleinen, trivialen Details eine enorme Auswirkung auf den Athleten haben. In jeder Situation solltest du Bedingungen schaffen, die vom Athleten Engagement erfordern, während du als Coach gleichzeitig weniger Arbeit hast.
„Die besten coaches streben danach, sich überflüssig zu machen.“
Euer Kevin Carr