Wir tun es etwa 14.000 bis 20.000 Mal pro Tag: Atmen. Wir können dreißig Tage ohne Nahrung und mehrere Tage ohne Wasser auskommen, halten es aber nur wenige Minuten ohne Luft aus. Atmung stellt die absolute Grundvoraussetzung für menschliches Leben dar. Aber was hat das mit Bewegung zu tun? Darauf gehe ich gleich ein.
Die Kampfkünste, Yoga und andere Formen der Körperbeherrschung nutzen schon seit Jahrhunderten die Atmung als Schlüssel zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit. In der heutigen Zeit haben wir die Atmung zuerst ignoriert und ihr dann beinahe mystische Eigenschaften zugeschrieben. Versuchen wir einmal, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Wir können uns auf drei Bereiche der Atmung konzentrieren:
- Biomechanisch
- Biochemisch
- Psychophysiologisch
Doch zuerst sollten wir die beiden Begriffe Atmung und Respiration unterscheiden. Atmung bezeichnet den Vorgang, bei dem die Lunge mit Luft gefüllt und wieder geleert wird, während die Respiration a) den Gasaustausch in der Lunge und b) die Energieproduktion in den Zellen bzw. Mitochondrien beschreibt. In diesem Beitrag gehen wir einerseits auf die mechanischen Aktionen bei der Atmung und andererseits auf die biomechanischen und physiologischen Aktionen ein, die während des Gasaustauschs stattfinden. Wenn du Google befragst, wirst du feststellen, dass diese Begriffe und ihre Definitionen manchmal synonym verwendet werden. Das kann verwirrend sein, hier also drei YouTube-Videos, die die verschiedenen Aspekte der Atmung erläutern:
Ein Blick auf den normalen Respirationszyklus
Eine Animation der Ventilation und Respiration
Ein dreiminütiger TED-Vortrag, der den Vorgang des Atmens beschreibt
Ich würde auch empfehlen, ein gutes Lehrbuch über Trainingsphysiologie oder ein anderes Buch zu lesen wie: Strength and Conditioning: Biological Principles and Practical Applications (2011).
Biomechanisch
Wie du im ersten Video siehst, passiert in einem Atemzyklus viel, und das Zwerchfell spielt in diesem Zusammenhang im wahrsten Sinne des Wortes eine tragende Rolle. Je nachdem, ob man sich in Ruhe oder Bewegung befindet, werden beim Ein- und Ausatmen andere primäre Muskeln und Atemhilfsmuskeln aktiv. Das Zwerchfell gehört zu den coolsten Muskeln im Körper, und es zeichnet sich durch einzigartige Ansatzpunkte und eine besondere Anatomie aus. Es ist der an der Atmung hauptsächlich beteiligte Muskel, der aber auch aktiv ist, um die Haltung und Core-Stabilität als Teil der inneren Einheit aufrechtzuerhalten (Zwerchfell, Beckenboden, M. transversus abdominis, M. multifidus).
Im Manual für den FMS Breathing Screen wird „biomechanisch“ beschrieben als:
- sich auf die Aktionen der neuromuskulären Atempumpe beziehend.
- Veränderungen des intra-abdominellen und intra-thorakalen Drucks bewirkend, die die Bewegung von Luft, Lymphflüssigkeit und Blut anregt.
Seit Jahren setzen wir (FMS) die Zwerchfellatmung als Schlüsselkonzept und Hilfsmittel ein, um die Bewegungsfähigkeit unserer Klienten zu verbessern. In Workshops machen wir alle Teilnehmer standardmäßig mit der Zwerchfellatmung vertraut und benutzen dafür das sogenannte Crocodile Breathing; in 70 Prozent aller Fälle stellen wir dann Verbesserungen im schwächsten Glied des Screens fest. Ähnliche Beobachtungen werden durch zahlreiche Fachveröffentlichungen untermauert. Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, dass eine signifikante Beziehung zwischen gestörten Atemmustern und Bewegungsdysfunktionen besteht, die durch das FMS identifiziert werden können. Die Atmung wirkt sich also durchaus auf Bewegung aus.
In praktischer Hinsicht lassen sich auf die Atmung in Bewegung zwei Konzepte anwenden: die anatomische und die biomechanische Atmung. Die anatomische Atmung bezieht sich auf die natürliche Abstimmung des Einatmens und Ausatmens mit der Extension und Flexion der Wirbelsäule/des Körpers. Die Extension begünstigt das Einatmen, die Flexion das Ausatmen. Wenn sich der Körper komprimiert (Flexion), baut das Ausatmen den Druck ab, während die Extension die Weitung des Brustkorbs unterstützt und so bei der Einatmung mitwirkt. Außerdem kann die anatomische Atmung genutzt werden, um tiefer in eine Dehnung zu gehen. Bei der biomechanischen Atmung machen wir es genau umgekehrt. Wir atmen ein, um den intra-abdominellen Druck bei der Flexion zu erhöhen und atmen aus, um unsere Muskelaktivität und Stabilität bei der Extension zu verbessern. Die biomechanische Atmung bietet sich an, wenn man schwere Lasten heben muss. Beim Deadlift, Kettlebell-Swing oder Kettlebell-Military-Press sorgt sie für mehr Kraft und Stabilität.
In einer Diskussion mit Gray zum Thema Atmung sagte Stu McGill in einem Event in Stanford:
„Stellen Sie sich einen Wettkampf vor, in dem sich zwei Kontrahenten gegenüberstehen – zum Beispiel MMA oder UFC. Die Jungs sind wirklich gut. Wenn sie den Gegner in einer günstigen Position haben und ihn zur Aufgabe zwingen wollen, traktieren sie seine Leber, damit er seinen defensiven Arm senkt. Dann warten sie eine Sekunde, bis er nicht aus- sondern einatmet – und führen die Submission mithilfe des Atemzyklus herbei. Wie kann ich das Zwerchfell dazu bringen, unter den widrigsten Bedingungen zu funktionieren, unabhängig von Stabilität und Kontrolle? Ich bringe den Athleten dazu, schwer zu atmen, bevor er in den Seitstütz geht. Wenn er andere Muskeln für die Atmung nutzt, kann er seine Position nicht halten. Alles, was ihm noch bleibt, ist das Zwerchfell. Ich bringe dem Zwerchfell bei, unabhängig zu arbeiten, und der Athlet kann weiteratmen – egal, was im Ring passiert.“
Kampfsportler bezeichnen das als „Hinter dem Schild atmen.“ Das ist im Grunde die Fähigkeit, mit angespanntem Rumpf zu atmen. Wenn es um Atmung und Leistung geht, gibt es also viele Dinge, die in biomechanischer Hinsicht eine Rolle spielen.
Biochemisch
Bei dem biochemischen Aspekt der Atmung/Respiration steht der Gasaustausch im Vordergrund. Es gilt, Sauerstoff in und Kohlendioxid aus dem Körper zu bekommen, um das Gleichgewicht von O2 und CO2 im Blut bzw. Körper aufrechtzuerhalten. Dies erfolgt über die Zellatmung in den Zellen (O2 wird genutzt, um ATP zu produzieren und das Abfallprodukt CO2 zu beseitigen) und in der Lunge als Gasaustausch. Chemische Rezeptoren registrieren den pH-Wert im Blut und sorgen für eine Anpassung der Atemfrequenz, um den pH-Wert im Blut aufrechtzuerhalten. Hyperventilation (zu viel atmen) führt zu einem zu hohen CO2-Ausstoß und somit zu Alkalose. Medizinisch kann das CO2-Niveau mittels Kapnometrie oder Bluttests gemessen werden. Im FMS Breathing Screen dient das Luftanhalten der Identifikation potenzieller Atemprobleme (diese können auch durch andere Aspekte der Atmung beeinflusst werden). Wir können dieses unbewusste System der Atmung zwar bewusst steuern, aber die physiologischen Kontrollen des Körpers und Gehirns werden sich ändern, um das zu bekommen, was sie brauchen – ungeachtet dessen, welche Absicht wir verfolgen.
Psychophysiologisch
Die psychophysiologische Wirkung der Atmung ist von zentraler Bedeutung. Die Atmung ist ein Bestandteil des autonomen Nervensystems (ANS), das aus dem Sympathikus (Kampf oder Flucht) und dem Parasympathikus (Ruhe und Entspannung) besteht. Während die meisten Funktionen des ANS nicht willentlich gesteuert werden können, weil nicht nur Skelettmuskeln daran beteiligt sind, sondern auch glatte Muskelfasern, können wir unsere Atmung bis zu einem gewissen Grad durchaus steuern. In ihrem Artikel „Breathwork in Body Psychotherapy“ (2011) befassen sich Christine Caldwell und Himmat Victoria mit den Auswirkungen der Atmung auf die Psyche, wobei sie unter anderem auf die Arbeit von Chaitow et al. eingehen und sagen:
„Es ist klar, dass die Physiologie und Psychologie der Atmung untrennbar miteinander verbunden sind. Veranschaulicht wird dies durch Chaitows, Bradleys und Gilberts Aussage (2002), dass Nervosität in der Regel zu Brustatmung führt, die die Zusammensetzung des Bluts beeinflusst, die wiederum eine Kaskade von Wirkungen auslöst (unter anderem gesteigerte Nervosität) und so verstärkt sich das, was das dysfunktionale Atemmuster überhaupt erst erzeugt hat (S. 2).“
Mithilfe eines nach wissenschaftlichen Prinzipien erstellten Fragebogens ermöglicht der FMS Breathing Screen ein effizientes Screening der psychophysiologischen Aspekte der Atmung.
Wie man alles zusammensetzt
Die Atmung kann die Bewegung beeinflussen oder verbessern, aber schlechte Bewegungen sind nicht immer zwangsläufig auf eine dysfunktionale Atmung zurückzuführen. Und eine dysfunktionale Atmung ist nicht automatisch damit gleichzusetzen, dass man sich schlecht bewegt, obwohl natürlich ein enger Zusammenhang besteht. Der FMS Breathing Screen für Fitnesstrainer besteht aus zwei Formen des Luftanhaltens und einem Fragebogen, aber für Physiotherapeuten und Ärzte gibt es noch ein klinisches Assessment und eine Evaluation. Dieser einfache Screen zeigt uns, wer dysfunktional atmet und wer einfach an seiner Atmung arbeiten muss, um seine Bewegungsfähigkeit zu verbessern. Da Fitness nur im Wörterbuch vor Gesundheit kommt, muss die Atmung in unseren Fitnessseinrichtungen und Praxen angemessene Beachtung finden. Der Screen der Bewegung und Atmung gibt uns die Gelegenheit, unsere Ressourcen und unsere Aufmerksamkeit in die richtigen Bahnen zu lenken.
Euer Brett Jones